1. Korinther 6 (11. + 12. August)

„Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel seid.“ (Mt 5, 44+45)

Auch über rechtliche Streitereien wurde Paulus berichtet. Menschen innerhalb der Gemeinde waren sich in konkreten Fällen uneins über eine gerechte Lösung des Problems und hatten, um bei diesem Streit Unparteilichkeit zu garantieren, ihren Streit vor einen externen Richter oder Schlichter getragen.

Nicht der Streit an sich liegt hier im Kern von Paulus‘ Kritik, sondern das mangelnde Vertrauen untereinander. Natürlich erinnert Paulus die Gemeinde hier noch einmal an die Aufforderung Jesu an seine Jünger und Apostel, Unrecht zu erdulden, ungehalten ist er aber darüber, dass der Rechtsstreit nach draußen getragen wurde.

„Wisst ihr nicht, dass wir Engel richten werden?“ (1. Kor 6,3)

Wieder muss der Apostel die Gemeinde auf das Erbe hinweisen, dass Gott uns geben wird. Die Welt wird nicht durch ihre Schuld gerichtet werden, sonst wären auch wir hoffnungslos verloren. Die Welt wird dadurch gerichtet werden, dass die Kinder Gottes ihren Platz einnehmen im Reich des Vaters – es wird Erben geben, die gerettet sind durch die Gnade Gottes und es wird verlorene Seelen geben. Auch wenn es in einigen Passagen der Offenbarung so klingt, als ginge es am Tag des Gerichts um irgendeine Form der Wiedergutmachung oder gar Rache für erduldetes Unrecht – das sind nur die Echos entschlafener Sünder, noch gefangen in ihren überkommenen Vorstellungen einer irdischen Gerechtigkeit – die Rache Gottes wird darin bestehen, allen dieselbe Erkenntnis über die Wahrheit zu geben. Die Verlorenen werden erkennen, dass ihre Verdammnis nicht in Dingen liegt, die sie getan oder unterlassen haben, sondern in dem Geist dieser Welt, dem sie in ihrer irdischen Lebensspanne in sich Raum boten und der sie ein ums andere Mal das Pochen, Klopfen oder Winken des Heiligen Geistes ignorieren ließ. Nicht eine Sünde hat sie vor Gericht gebracht, nicht die Summe ihrer Sünden bringt das Urteil über sie, sondern die Tatsache, dass sie die Sohnschaft ausschlugen, dass sie nie ein Kind Gottes waren.

Wie können wir eines Geistes mit Gott sein, wenn wir nicht einmal untereinander vertrauen können?

„Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und keine Stadt, kein Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann bestehen.“ (Mt 12,25)

Es liegt im freien Geist des Menschen begründet, dass er nicht vertraut, dass er glaubt, um sein Recht kämpfen zu müssen, um nicht übervorteilt zu werden. Der Kampf ums eigene Recht ist tief verwurzelt in der menschlichen, in unserer irdischen Existenz. Es ist eine Lehre, die wir aus diesem Leben ziehen müssen, dass dieses Konzept für das Reich Gottes ein Irrweg ist. Wenn die Gemeinde der Acker ist und Gott das Wachstum gibt, dann gehört diese Lehre zum persönlichen Reifeprozess, den jeder von uns zu durchlaufen hat. Wir müssen vertrauen, dass die Schöpfung, wie Gott sie gemacht hat, in ihrer Vollendung – also am Tag des Gerichts – vollkommen sein wird. Hierin liegt Gottes Kernkompetenz, das meint „Allmächtig“.

Der Mensch kann aber – und darüber wird Paulus auch im nächsten Kapitel reden – nicht Bürger in zwei Reichen sein. Entweder wir betrachten diese Welt, unsere Pilgerschaft, als eine Schule (ein Internat), die wir eine Zeit lang besuchen, um dann gut ausgerüstet unseren Platz im Reich des Vaters einzunehmen – dann ist alles, was hier passiert gut zur Lehre und für den Moment erfreulich oder auch schmerzhaft, für das eigentliche, noch vor uns liegende Leben aber ohne Bedeutung – oder aber wir sind Bürger dieser Welt und dazu verdammt, nach den Regeln dieser Welt (oder auch gegen sie) um unser Recht und unser Vorankommen gegen andere zu kämpfen um dann am Ende des Laufes, nach 80 – 100 Jahren zu verlieren.

Nichtsdestotrotz sind wir in diesen 80 – 100 Jahren auf und in dieser Welt und wir werden in Situationen kommen, in denen auch der Friedfertigste und Sanfteste dem heraufziehenden Streit nicht mehr ausweichen kann und plötzlich stehst du mittendrin. Paulus fordert dann von den Korinthern, dass sie zumindest einen Schlichter innerhalb der Gemeinde suchen, denn wenn sie da keinen finden, dann sind sie keine Gemeinde Gottes.

Die katholische Kirche hat aus dieser Wutrede des Paulus geschlossen, dass Rechtsstreitigkeiten zwischen Menschen und der Organisation (oder deren Vertretern) vor einem kirchlichen, nicht weltlichen Gericht zu behandeln seien. Das ist ein Irrtum! Die Korinther brachten ihren Streit vor einen Menschen, der christliche Werte und den christlichen Sinn von Gerechtigkeit nicht kannte. Die Situation ist heute eine grundlegend andere. Unsere Verfassung und damit auch die daraus hergeleiteten Gesetze des Bürgerlichen und des Strafgesetzbuchs sind allesamt (mal mehr, mal weniger gelungen) aus christlichen Werten abgeleitet. Man kann vortrefflich darüber streiten, ob die weltlichen Gesetze noch im Einklang mit dem Wort Gottes stehen, aber das funktioniert uneingeschränkt auch mit dem Kirchenrecht und einem kirchlichen Schlichter/Richter, denn auch das Kirchenrecht wurde von Menschen aus den christlichen Werten hergeleitet. Die katholische Kirche ist eine Organisation, welche jene Christen, die ihren Glauben nach der aus unserem Glauben entstandenen christlichen Religion katholischer Prägung zusammenfasst. Sie ist vollständig integriert in die uns umgebende christliche Kultur. Die katholische Kirche in Deutschland ist beispielsweise vollständig integriert in die christliche Kultur Deutschlands. Verglichen mit der Situation der Korinther wäre ein externer Richter/Schlichter beispielsweise einer, der nach der Scharia Recht spricht. Kein Christ würde auf die Idee kommen, so etwas zu fordern.

„Alles ist mir erlaubt — aber nicht alles ist nützlich! Alles ist mir erlaubt — aber ich will mich von nichts beherrschen lassen!“ (1. Kor 6,12)

Hier spricht Paulus das Besondere am Evangelium und damit am christlichen Glauben an: Gott schränkt uns nicht durch die Gesetze, Rituale und Verbote einer Religion ein, doch diese Freiheit wäre vollkommen missverstanden, wenn man sie wie ein pubertierender Jugendlicher einsetzte. Mit jedem Schritt, den ich voranschreite, verändere ich die Welt (auch wenn ich es nicht bemerke). Gott schreibt mir nicht vor, wie oder wohin ich zu gehen habe, aber er verlangt von mir, dass ich mir jeden Schrittes bewusst bin und mir die Folgen meines Handelns bewusst mache. Etwas, das mir jetzt in diesem Moment das Gefühl von Freiheit gibt und mir Freude bereitet, kann als Konsequenz spätere, vielleicht längerfristige und (immer) unangenehme Einschränkungen bedeuten. Es war mir natürlich erlaubt so zu entscheiden und zu handeln, es hat mir im Nachhinein aber nichts genützt. Im Gegenteil!

Wenn sich Entscheidungen in dieser relativ kurzen Zeitspanne, irdisches Leben genannt, bereits so gravierend auswirken können, wie sehr dann erst, wenn es um die Ewigkeit geht? Der Drang, alles möglichst gleich und in vollem Umfang zur Verfügung zu haben, ist manchmal übermächtig. Doch genau dann ist der richtige Zeitpunkt sich zu erinnern und zu fragen:

Ich bin ein Kind Gottes und dazu berufen über die Geister und Dämonen dieser Welt zu herrschen. Herrsche ich gerade (über sie) oder werde ich gerade (von ihnen) beherrscht?

1. Korinther 6 >>