Der erste Brief an die Korinther und das Zölibat

„Ich will aber, dass ihr ohne Sorgen seid! Der Unverheiratete ist für die Sache des Herrn besorgt, wie er dem Herrn gefällt; der Verheiratete aber sorgt für die Dinge der Welt, wie er der Frau gefällt. Es ist ein Unterschied zwischen der Ehefrau und der Jungfrau. Die Unverheiratete ist besorgt um die Sache des Herrn, dass sie heilig sei sowohl am Leib als auch am Geist; die Verheiratete aber sorgt für die Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefällt. Das sage ich aber zu eurem eigenen Nutzen, nicht um euch eine Schlinge um den Hals zu werfen, sondern um des Anstandes willen, und damit ihr ohne Ablenkung beständig beim Herrn bleiben könnt.“ (1. Kor 7, 32-35)

Als ich heute Morgen entschied, mich bei 80 % Luftfeuchtigkeit nicht über den Michaelsberg zu quälen und stattdessen lieber das ein oder andere weitere Kapitel im Brief an die Korinther zu studieren und zu reflektieren (mit der insgeheimen Bitte an Papa, mir viele schöne Impulse zu geben), das tauchte dieser von mir nicht genauer beachtete Abschnitt des im heutigen Text reflektierten siebten Kapitels auf und der Begriff „Zölibat“ schwang wie ein schweres Pendel über mir.

Ich bin kein Kircheninterner, aber wenn ich die Forderung der Ehelosigkeit von Priestern mit der Heiligen Schrift begründen wollte, dann würden die Verse 32 bis 35 sicher zu den Kernaussagen meiner Forderung gehören.

Betrachten wir diese Textstelle zunächst allgemein. Paulus spricht über die Ehe und – zwischen den Zeilen – auch darüber, dass der Herr noch in dieser Generation wiederkommen, das irdische Leben also ohnehin ein Auslaufmodell in der letzten Phase des Schlussverkaufs sei. Es kann hier also sinnvoll sein, sich voll und ganz dem Herrn zu widmen. Dies sollen aber auch Eheleute tun! Darum sehe ich hier keine Aufforderung (außer der bekannten Vorliebe des ledigen Apostels) zur Ehelosigkeit, sondern eher den wohlmeinenden Hinweis, dass sich in der Ehe die Prioritäten ändern und man das beachten müsse.

Ganz allgemein wäre noch zu erwähnen, dass Paulus – und auch die anderen zwölf Apostel, vermutlich nicht einmal Jesus, während seiner Missionsreise – jemals eine Amtskirche mit professionellen, geweihten Priestern im Auge und auf dem Plan hatten. Auftrag der Apostel war, das Evangelium aller Welt zu verkünden und die Gläubigen zu taufen. Das war der ganze Auftrag.

Bald schon merken die Apostel aber, wie in der Apostelgeschichte beschrieben, dass das Gebot der Nächstenliebe erhebliche Arbeit, ein sich Kümmern um die Beladenen und die Schwachen, mit sich brachte und sie begannen, sich zu organisieren, d.h., sie teilten die Aufgaben in der Gemeinde (in Jerusalem) auf. Plötzlich gab es Missionare und Diakone. Die Aufgaben wurden hier aber nach offensichtlicher Begabung verteilt, nicht nach abgeschlossenem Studium. Der eine war redegewandter – er verkündete als Missionar. Der andere war geselliger, hatte ein Gespür dafür, was Menschen, die in die Gemeinde kamen, gerade am dringendsten brauchten: Nahrung, Kleidung oder einfach nur ein offenes Ohr und Herz für die schmerzenden Nöte und Sorgen. Oder er hatte Organisationstalent, konnte gut mit Geld umgehen usw. Alles notwendige Begabungen für einen Diakon. Diese Strukturen wurden sicherlich auch in allen anderen Gemeinden so eingeführt, weil sie sich bewährt hatten. In der Erkenntnis ums Evangelium waren aber alle Gemeindemitglieder, auch jene ohne besondere Aufgaben, in gleicher Weise bewandert.

„Wir alle haben Erkenntnis.“ (1. Kor 8,1)

In keinem Punkt ist aber die Rede von einer Dachorganisation, die zentral Priester ausbildet und in die Gemeinden entsendet. Dies mag sich ab einem gewissen Punkt als nützlich und notwendig erwiesen haben und als das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich wurde, war es vermutlich sogar unvermeidlich, denn als staatliche Einrichtung musste sie vom Staat geregelt sein um keinen „Staat im Staat“ zu bilden – aus dem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums ist sie aber nicht unmittelbar ableitbar. Die Kirche, die Christus auf dem Fels Petrus verankern möchte, das sind all die Gläubigen, die – über die ganze Schöpfung ausgestreckt – den neuen Tempel Gottes bilden. Da gibt es kein Laien- und Profi-Priestertum, es ist Aufgabe jedes Christen dieselbe Erkenntnis anzustreben und Aufgabe aller von Gott dazu begabten Missionare, allen Gläubigen die gleiche Erkenntnis zu ermöglichen.

Mal ganz abgesehen davon, dass Paulus in den Versen 32 – 35 Männer und Frauen in derselben Art und Weise auf diesen Umstand hinweist. Umgekehrt heißt dies, Männer und Frauen haben – was das Leben mit Gott angeht – dieselben Pflichten, woraus sich sofort ergibt: Sie haben, was Verbreitung und Bewahrung des Evangeliums angeht – auch dieselben Rechte. Es sind allein die von Gott gegebenen Begabungen, die den Weg eines Christen innerhalb seiner Kirchengemeinschaft bestimmen und diese Begabungen können nicht an irgendwelchen weltlichen Dokumenten z.B. einem Abitur oder einem abgeschlossenen Studium festgemacht werden. Wobei natürlich für jegliche Tätigkeit in dieser Welt gilt: Eine fundierte Ausbildung ist immer nützlich und bietet zudem noch Gelegenheit, die angenommene Gabe zu prüfen (Ist sie stark genug?)

Und hier beginnt der Teil der Beichte:

In einem Alter, wenn Jungs Feuerwehrmann, Zugführer oder Astronaut werden wollen und ihre zukünftigen Traumberufe auch immer wieder spielen (Träume ändern sich, die Spiele entsprechend), wollte ich dies alles auch, aber es gab auch Phasen, in denen ich Priester werden wollte. Ich kann das nicht beurteilen, aber ich denke, das kommt im Alter zwischen fünf und acht Jahren nicht so häufig vor. Dann kam die Pubertät, ich wollte eine Frau und einskommazwei Kinder und als erstes begrub ich daher die Träume, Priester zu werden. Katholik – geht nicht mit Frau und Kinder! Ich ergab mich hier also dem äußeren Zwang – man verzeihe mir den unfairen und unpassenden Ausdruck – „katholischer Konsument“ zu werden.

Mein nächster Traumberuf war dann gar nicht mal so weit davon entfernt: Lehrer. Nach einer weiteren Umentscheidung (landläufige Meinung damals: „Leherstudenten von heute sind die Sozialhilfeempfänger von morgen“ – es wurden in dieser Zeit praktisch keine Lehrer mehr eingestellt), die sich allerdings nach dem Vorstudium in Luft auflöste, kehrte ich zum Lehrerberuf zurück: Mathematik, Deutsch und katholische Religionslehre. Leider hatte ich mich, kirchlicherseits, zu konsequent auf die Konsumentenrolle beschränkt, der zuständige Bischof sah zu wenig „Katholisches“ in mir und verweigerte mir die Missio. Lediglich bis zum Abschluss der Ausbildung erhielt ich die Erlaubnis auch katholische Religionslehre zu unterrichten.

Mein Plan war ursprünglich gewesen, sobald mich das Kultusministerium einer Schule zuweist (als Lehrer wird man in Baden-Württemberg ja wie ein Prieser in eine Gemeinde entsandt), mich dort bei dem zuständigen Priester zu melden, um mich voll in die Gemeine einzubringen. Denn, wie sollte ich denn meine Schüler ins Gemeindeleben einführen, wenn ich nicht selbst aktiver Teil dieser Gemeinde wäre? Dieses Vorhaben zerschlug sich, wie manches andere auch auf diesem Weg. Ich blieb Konsument, meine Freude am Konsumieren hatte aber seit meinen Teenager-Jahren erheblich nachgelassen und näherte sich zunehmend dem Nullpunkt.

Nicht nachgelassen, sondern sogar stärker geworden, war mit fortschreitendem Alter dieser Wunsch nach Frau und Kindern. Von den selbstgemachten „Göttern“ und „Herren“ handelt das achte Kapitel. Ich setzte alles daran, verheiratet zu sein – und man kann sich vorstellen, wer so an die Sache rangeht, wird scheitern. Die Ehe zerbrach nach kurzer Zeit … und ich, nach einer Zeit voller Rückschläge, auch. Weitere zehn Jahre vergingen.

Und heute bin ich zwar nicht Priester, aber dennoch genau da, wo ich mich in meinen Visionen als Kind gesehen hatte. Ich verkündige hier das Evangelium und ich bin in der Gemeindearbeit unterwegs (zugegeben: oft zittrigen Fußes). Wie Moses und das Volk Gottes stand ich bereits vor (nunmehr über) vierzig Jahren am Fluss Jordan und kam trotzdem erst nach einer langen Wanderung durch die Wüste auf der anderen Seite im gelobten Land an. Beim Volk Gottes musste zuerst die alte Generation, die noch fremden Göttern gehorchte, sterben, bei mir das alte Leben, das noch fremden Göttern gehörte. Gott hat uns aber am Ende alle heimgebracht.  

Eine weitere Gabe habe ich auf diesem langen Weg aber erhalten: Ich kann völlig klar fremde „Götter“ und „Herren“ erkennen und ich erkenne auch, dass einige davon von meiner eigenen Kirche gemacht wurden. Und zunehmend gewinne ich auch das Vertrauen, diese – die eigenen wie die aufgezwungenen – mit der Hilfe meines einzigen Gottes bezwingen zu können.

„Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“ (Röm 8,31)