„Ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein!“ (Jer 31, 33)

Die aktuelle Diskussion über Reformfähigkeit, Reformwilligkeit, Reformnotwendigkeit der katholischen Kirche ist für mich untrennbar mit diesem Spruch Gottes an Jeremia verbunden.

Schauen wir uns zunächst einmal den ganzen Abschnitt aus dem Buch Jeremia an:

„Siehe, es kommen Tage, spricht der HERR, da ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde; nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern schloss an dem Tag, da ich sie bei der Hand ergriff, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen; denn sie haben meinen Bund gebrochen, obwohl ich doch ihr Eheherr war, spricht der HERR. Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Innerstes hineinlegen und es auf ihre Herzen schreiben, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein; und es wird keiner mehr seinen Nächsten und keiner mehr seinen Bruder lehren und sagen: »Erkenne den HERRN!« Denn sie werden mich alle kennen, vom Kleinsten bis zum Größten unter ihnen, spricht der HERR; denn ich werde ihre Missetat vergeben und an ihre Sünde nicht mehr gedenken!“ (Jer 31, 31-34)

Es ist absolut klar, welcher Bund hier gemeint ist; es ist der Bund den Christus für uns bei Gott erkauft hat!

Und jetzt schauen wir, was da drinsteht:

Gott legt den Bund in unser Innerstes und schreibt ihn auf unsere Herzen. Davor erklärt Gott, dass sein Volk den alten, auf (auf Steintafeln und Schriftrollen) niedergeschriebenen Gesetzen ruhenden Bund, gebrochen hat. Gott beschreibt hier einen Unterschied in der Auffassung eines Bundes mit ihm. Die Menschen wollen eine Religion, sie wollen klare Regeln haben, die ihnen sagen, was richtig und was falsch ist. Doch wenn sie diese Regeln haben, halten sie sich nicht daran, sondern nutzen diese, um sich über andere Menschen zu stellen, die diese Regeln – diesen Bund – nicht haben. Ein Gesetz, eine Religion, dient also meist nicht dazu, dass ich mein Leben danach ausrichte, sondern dazu anderen vorschreiben zu können, was richtig und was falsch ist.

Und genau darum geht es im Moment auch bei den Reformdiskussionen, insbesondere jener Gruppen, die Reformen ablehnen, ja geradezu als Gotteslästerung brandmarken. Es geht um den Schutz der eigenen Religion, es geht um das – selbst geschaffene! – Verständnis von richtig und falsch.

Und ich gebe zu, bei einigen Reformforderungen habe ich das Gefühl, es geht den Fordernden darum, die alten Regeln durch neue zu ersetzen – und das sähe ich skeptisch. Es kann und darf bei einer Reform der Kirche nicht darum gehen, einfach die (starren) Regeln auszutauschen, einfach einen neuen Kompass für die beiden Richtungen „richtig“ und „falsch“ einzuführen und dann alle aufzufordern, den neuen Weg zu gehen.

Bei jeglicher Reform ist die Rückbesinnung zum Ursprung unseres Glaubens maßgebend und dieser Ursprung ist nicht der Zustand unserer Kirchenorganisation vor 100, 200 oder 1000 Jahren, es ist Christus, es ist unser Gott, der seinen Bund in jeden Einzelnen und jede Einzelne hineinlegt. Dieser Ursprung liegt keinesfalls in irgendeiner katholischen Lehre – übrigens auch in keiner evangelischen, anglikanischen, orthodoxen oder sonstigen!

„Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder.“ (Mt 23, 8)

Was Jesus hier sagt ist nicht weniger, als dass es im Glauben an ihn keine wie auch immer formulierten, festgeschriebenen und bis ins Detail festgelegten Lehren geben kann. Allein der Glaube, immer wieder angefacht durch den Heiligen Geist, führt uns, ein Glaube, der sich so mannigfaltig und verschieden ausdrückt, wie es über 2 Milliarden Christen nun einmal sind. Natürlich bedarf das Zusammenleben und Zusammenwirken einer Gruppe, erst recht einer so riesigen, Regeln, doch in keinem Moment dürfen wir vergessen, dass diese Regeln von Menschen gemacht wurden – zwar hoffentlich nach bestem Wissen und Gewissen aus dem Wort Gottes abgeleitet, aber trotzdem in letzter Konsequenz menschengemacht.

Wir sind aufgefordert, die Regeln, die wir uns geben (müssen), immer wieder zu überprüfen. Wir müssen immer wieder prüfen, ob es nach der Schrift auch andere Möglichkeiten gibt, den Willen Gottes zu tun. Unsere selbstgemachten Regeln als Religion, als einzigen Weg der Wahrheit zu definieren, ist Götzendienst und wird von Gott abgelehnt.

Und selbst das steht bereits in obigem Abschnitt von Jeremia 31!

„es wird keiner mehr seinen Nächsten und keiner mehr seinen Bruder lehren und sagen: »Erkenne den HERRN!« Denn sie werden mich alle kennen, vom Kleinsten bis zum Größten unter ihnen“ (Jer 31, 34)

Gott sagt uns also: Religionen sind ein Irrweg. Glaube kann nicht durch äußere Gesetze geregelt oder gar erzwungen werden!

Warum hat Gott den Israeliten dann aber am Berg Sinai eine Religion gestiftet?

Hier müssen wir die „besondere Pädagogik“ unseres Gottes beachten. Die größten Propheten der Bibel, einschließlich des Messias selbst, sandte Gott nicht zu seinem Volk, damit es erkennt und versteht, sondern um ihm zu zeigen, dass es „sieht und doch nicht erkennt“ und „hört und doch nicht versteht“ (Jes 6,9).

Genau diesen Plan verfolgt er auch mit dem mit Mose geschlossenen Bund: Die Israeliten wollen zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Doch dabei geht es nicht nur um das Essen. In Ägypten gibt es klare Regeln, festgelegt durch die Götter, die dort angebetet werden (und natürlich auch festgelegt vom Pharao, dem „Sohn“ des speziell von diesem angebeteten Gottes). Die Israeliten brauchen einen äußerlich sicht- und wahrnehmbaren Bund und bekommen ihn. Ergebnis: Sie folgen ihrem Gott auf rein äußerliche Art und Weise, indem sie Rituale befolgen. Die sehr persönliche Beziehung zwischen Mose und seinem Gott beschränkt sich auf einige wenige herausgehobene Persönlichkeiten, die Propheten.

Das ist nicht der Plan Gottes, der einen individuellen Heilsplan für jede einzelne Seele hat!

Indem die Israeliten Jahr um Jahr diese Rituale abfeierten, hätten sie erkennen können, wie aus den Feiern für Gott mehr und mehr gut organisierte Volksfeste zur Unterhaltung der Massen wurden. Sie hätten erkennen können, dass keiner von ihnen eine persönliche Beziehung zu diesem Gott hat, spätestens als sie anfingen diesen Gott nach Lust und Laune mit anderen Göttern zu kombinieren oder sogar komplett auszutauschen. Doch genau diese Erkenntnis trat eben nicht ein.

Und als Jesus sie verzweifelt auf diesen Fehler hinwies, schlugen sie ihn ans Kreuz.

Sie sahen den Fehler, denn der Messias kam und zeigte ihn ihnen, aber sie weigerten sich zu erkennen. Der Alte Bund mit Mose endete am Kreuz, unsere Blindheit bezüglich der Erkenntnis leider bis heute nicht.

Auch wir sehen die Fehler, aber halten an ihnen fest. Wir erkennen nicht!

Wir müssen weg, vom Denken in festgeschriebenen Religionen; Religionen, die die Menschen in Gruppen aufteilen, feinsäuberlich voneinander getrennt halten. Wir müssen hin zu einem Glauben, der uns unter dem einen Gott vereint. Jeder wird bei dem zweiten Satz zustimmen; der erste ist die Voraussetzung, die dorthin führt. Den Anfang machen dabei Reformen mit dem Ziel, die von uns über so viele Jahre liebevoll (in uralter babylonischer Tradition) aufgebauten Türme über alle Konfessionen und Gruppen und Grüppchen innerhalb dieser Konfessionen hinweg einzureißen und abzutragen. Das schmerzt, aber der Weg ist dazu gemacht darauf zu gehen.

Neue Regeln werden der Vielfalt im christlichen Glauben Rechnung tragen müssen – und weil diese Vielfalt sich unentwegt weiterentwickelt, werden auch diese Regeln ständig weiterentwickelt werden müssen.