Ich mag die Karwoche nicht. Ehe du jetzt mahnend den Zeigefinger hebst, überlege dir ob Jesus wohl die Nacht von Gründonnerstag und den Karfreitag mochte.
Die Karwoche erinnert uns an all die Wege in unserem Leben, die wir gehen müssen, aber auf die wir gerne verzichten würden. Super all die Zwangs-Wege, die schon hinter uns liegen, aber es gibt auch welche die vor uns liegen; einige davon tauchen nur schemenhaft am Horizont auf andere stehen bereits auf der Anzeigetafel unter „Coming Up Next“. Und wir müssen jeden dieser Wege gehen, denn sie waren schon immer ein Teil von uns. Ich mag die Karwoche nicht.
Auch Gott hat dafür gesorgt, dass ich die Karwoche nicht mag … als Nebenprodukt unserer Verbrüderung vor zwei Jahren. Vermutlich habe ich in einem alten Artikel schon davon erzählt, aber es passt grade wieder. Da war ja der Tag an Pfingsten, als Gott als Papa in mein Leben trat und mich mit all seiner Liebe umarmt hat – der glücklichste Tag in meinem Leben, was hab ich geheult. Und damit ich das nicht als Zufall abtue, wiederholt er diese Umarmung seither an beinahe jedem Tag. Du kannst dich an die dauernde Präsenz Gottes in deinem Leben nicht gewöhnen; es sind immer besondere Momente, auch wenn das glücklicherweise nicht immer in einem Tränenmeer endet!
Dann einige Wochen später, ein völlig gewöhnlicher Moment: Ich liege auf der Gymnastikmatte und mache meine tägliche Rückenroutine. Auch an diesem Tag fällt mein Blick auf das kleine Holzkreuz an der Wand vor mir, doch dieses Mal erwacht das Teil zum Leben. Plötzlich fühle ich mich unter dem wahren Kreuz stehend, hochsehend. Da hängt Jesus und ich erkenne das Elend und den Schmerz. Aber ich erkenne auch, da ist meine Schuld und mein Versagen ans Kreuz geschlagen. Und ich spüre in dieser Situation die Liebe des Vaters zu mir, eine Liebe, die nun bitter wird. Ein bisschen Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig (1. Kor 5,6). Ich heule wie ein Kind und dieses Mal sind es andere Tränen als an Pfingsten, es sind Tränen der Scham und der Reue. Papa wiederholt das in den folgenden Wochen noch zwei weitere Male, jedes mal wird es schlimmer, und beim letzten Mal wünsche ich mir ein tiefes Loch, in das ich für immer verschwinden kann. In bestimmten Situationen, bei bestimmten Sätzen und Aussagen entweder von mir hier aufgeschrieben oder wenn ich sie irgendwo höre, tritt genau diese Situation und dieses Gefühl wieder ein. Und so fühlt sich seither bei mir auch die ganz Karwoche an, darum bin ich froh über jeden Gottesdienst und jedes Treffen in der Gemeinde, das den Tagen Struktur und Ablauf gibt. Ich mag die Karwoche nicht - aber sie ist ein Teil von mir und ich umarme sie. Und ich bin Papa dankbar für diesen Einblick. Ich kenne Jesus jetzt nicht mehr nur aus der Bibel, auch er ist jetzt ein Teil von mir - in ewiger Umarmung. Der Schmerz ist Teil meines Glaubens genau wie die Freude. Und manchmal kann auch der Schmerz ein wertvolles Geschenk sein.
Und außerdem: Die anderen 51 Wochen ist Ostern und das kann ich seit zwei Jahren auch fühlen!
„Ihr habt nun Traurigkeit; ich werde euch aber wiedersehen, und dann wird euer Herz sich freuen, und niemand soll eure Freude von euch nehmen.“ (Joh 16,22)