„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!” - Römer 12 – 16 (24. April – 5. Mai)

Nun wird Paulus praktisch.

Das Evangelium ruft nun einmal nicht zu frommen Sprüchen auf sondern zu tätigem Glauben! Und der offenbart sich in dem, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen – und Paulus macht hier keinen Unterschied zwischen Juden, Judenchristen, Heidenchristen und Heiden. Ob sie nun glauben oder nicht, ob sie Christus als ihren Herren erkennen oder nicht, alle sind von dem einen Gott geschaffen und alle sind daher unsere Brüder und Schwestern.

Nächstenliebe hat immer etwas mit Empathie zu tun. Ich tue nichts, was dem anderen Schaden zufügen würde, sicher, ich tue aber auch nichts, was den anderen dazu verführen würde, Dinge zu tun, die gegen seine Überzeugungen, seinen Glauben sind.

Jesus erklärt uns: „Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben werden.” (Mt 12,31)

Die Sünde oder Lästerung gegen den Geist meint das Handeln gegen unsere innerste Überzeugung. Für Christen ist dies eben die Nächstenliebe in der sich – so Jesus, so auch Pauls – das ganze Gesetz erfüllt, d.h., wenn wir unser Alltagsleben nach diesem einen Wert ausrichten, so handeln in allen anderen Dingen in völliger Freiheit. Für Menschen eines anderen Glaubens könnten das aber andere Werte sein und unsere Liebe zum Nächsten gebietet uns hier, in unserem Verhalten vor dessen Augen und Ohren auf dessen Werte Rücksicht zu nehmen. Wenn wir einem anderen in unserem Verhalten Anstoß zu einer Sünde (Sünde nach dessen Verständnis!) bieten, so verstoßen wir gleichzeitig gegen das Gebot der Nächstenliebe.

Daraus ergibt sich schon ganz direkt, dass wir auch nicht abfällig und abwertend über andere Religionen urteilen dürfen. Eine Herausforderung, die auch heute immer noch vielen „Geretteten” schwerfällt.

Daraus ergibt sich aber auch Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Gehorsam meinte damals, sich als treuer Untertan eines Königs und dessen von ihm eingesetzten Fürsten zu verstehen. Das bedeutet es heute auch immer noch in vielen Staaten und das wäre für einen Christen dann zu beachten, wenn wir diese Länder bereisen. Auch wenn es schwerfällt, das zu akzeptieren: Christen taugen nicht als Widerstandskämpfer! Heißt das, dass wir nichts sagen dürfen, wenn wir irgendwo ein himmelschreiendes Unrecht sehen? Das heißt es natürlich nicht! Die Menschen haben sich Menschenrechte gegeben. Wer gegen diese Rechte verstößt, stellt sich gegen die Menschheit und das darf und muss auch gesagt werden. Doch solches Fehlverhalten kann nicht mit dem Hinweis auf die Heilige Schrift gebrandmarkt werden. Ebenso darf natürlich ein Christ andere Menschen nicht zum Widerstand aufrufen, wenn diese mit ihrer Situation zufrieden sind und er darf auch nicht über sie urteilen, wenn sie treu hinter ihrer – dann meist totalitären – Regierung stehen.

Anders verhält es sich freilich, wenn es sich im Gegenüber um einen Mitchristen handelt, der fortwährend gegen das Gebot der Nächstenliebe handelt. Hier ist es Gebot, ihn auf die Verletzung des obersten und einzigen Wertes unseres Glaubens hinzuweisen, denn entweder er sündigt gegen den Geist oder er ist kein Christ, obwohl er es behauptet. 

Noch einmal: Ich darf Menschen niemals dazu verleiten oder gar dazu auffordern, gegen ihre Überzeugungen zu handeln!

Ein Christ dient den Menschen, er stellt sich niemals über sie.

 

Weitere Anregungen zum "praktischen Christsein" findest du hier:

„Denn was ich bewirke, begreife ich nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse.“ (Röm 7,15)

 

Die hier von Paulus gegeben praktischen Anleitungen, zeigen auch, warum die Aufgabe(n) des Papstes heute unvereinbar sind.

Eine Aufgabe des Papstes ist es, die Herde zusammen zu halten. In diesem Punkt unterscheidet er sich nicht vom „gewöhnlichen” Priester, lediglich die Herde ist deutlich größer, da inzwischen weltumspannend. Nun lebt unser Hirte aber, denn der Hirte ist Christus. Der Papst ist also nicht der oberste Hirte, sondern – wenn man dieses Bild weiterbenutzen möchte – der oberste Hirtenhund. Er folgt dem Ruf des Hirten, so wie alle Hirtenhunde, so wie die ganze Herde. Solange er nur auf den Ruf seines Herren hört und nur dessen Anweisungen befolgt, erfüllt er eine unverzichtbare Aufgabe – jeder Berufshirte wird dir das bestätigen.

Trotzdem ist das Bild eines Hundes für einen Priester, einen Bischof oder gar den Papst im Volksverständnis nicht gerade sehr schmeichelhaft. Jesus bietet uns daher noch ein zweites Bild, das des Arbeiters im Acker oder im Weinberg:

„Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!” (Mt 9, 37-38)

Auch der Arbeiter ist für den Eigentümer des Grundes unverzichtbar, solange er die Anweisungen seines Arbeitgebers ausführt. (Bei diesem Bild könnte man auch sehr trefflich darüber diskutieren, warum ein Manager in dieser Welt das Hundertfache und mehr eines Arbeiters als Lohn bekommt; aber das ist ein anderes Thema…)

Und wir sehen hier noch etwas: Alle Hirtenhunde werden vom Hirten ausgewählt, nicht vom obersten Hirtenhund. Entsprechendes gilt das natürlich auch für die Arbeiter. Eine Priesterweihe durch einen Bischof oder gar einen Papst ist ohne Bedeutung, wenn der oder die Geweihte nicht vorher von Gott ausgewählt wurde.

„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt.” (Joh 15,16)

Das heißt, kein Papst und kein Bischof sind in der Lage, durch welche Handlung auch immer einen Priester zu machen.

Nichtsdestotrotz: Solange die Arbeiter Gottes auf dessen Acker seine Anweisungen und nur seine Anweisungen ausführen, sind sie für eine Kirche unverzichtbar.

Und in dieser Feststellung liegt auch schon das Problem mit dem Amt des Papstes, denn seine zweite Aufgabe ist es, der oberste Lehrer des katholischen Glaubens zu sein. Der Papst hat nach der Definition der ersten Aufgabe diese Kompetenz aber gar nicht.

„Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.” (Mt 23,10)

Wenn es denn tatsächlich eine katholische Lehre gibt – und alle Hirtenhunde behaupten, es gäbe sie – so mag sie ja nach bestem Wissen und Gewissen aus dem Wort Gottes abgeleitet sein, doch ganz eindeutig ist sie dadurch eine Anwendung der eigentlichen Lehre, also ein Spezialfall (ähnlich wie Newtons Gravitationsgesetze ein Spezialfall von Einsteins Relativitätstheorie sind). Eine katholische Lehre (übrigens auch jede andere aus dem Wort abgeleitete Lehre) verkürzt und verengt den Blick auf die ganze Lehre. Ein unreflektiertes Festhalten verstellt den Blick auf die ganze Herrlichkeit Gottes.

Gott wird seine Offenbarung, die er allen Menschen gibt, nicht einiger unautorisiert geschaffener Spezialfälle zuliebe verkürzen oder verengen und somit ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis die Gruppe der Gläubigen, die sich zwar innerhalb des Wortes Gottes aber außerhalb des jeweiligen Spezialfalles bewegen, so groß sein wird, dass sie nicht mehr übersehen werden kann.

Ein Papst, der sich also redlich abmüht, die Aufgabe des obersten Kirchenlehrers sorgfältig und umfassend zu erfüllen, wird zwangsläufig bei seiner ersten Aufgabe versagen müssen, denn er wird die oben genannten Gläubigen aus der Herde drängen. Dasselbe gilt entsprechend natürlich auch für jeden Bischof und jeden Priester.

Es war weise und überaus weitsichtig, als Jesus uns davor warnte Glaubenslehrer sein zu wollen. Christen können andere Menschen dabei helfen, den eigenen Weg zu Gott und seinem Wort zu erforschen. Doch dieses Wort ist so individuell wie die Menschen selbst. Krücken und Eselsbrücken, die wir uns selbst schaffen (und vollmundig „Glaubenslehre” nennen), müssen ständig an der Realität bezüglich ihrer Tauglichkeit geprüft werden und werden immer wieder an genau dieser Realität zerbrechen. Am Ende wird nur das Wort selbst als Lehre bleiben und dem Christen die Nächstenliebe als einziges Werkzeug.

Das Zitat in der Überschrift stammt übrigens von Bischof Jacques Gaillot (11.9.1935 - 12.4.2023)

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