Matthäus 10 (25. – 27. Januar)

Jesus wählt zwölf Jünger aus seiner Gefolgschaft aus und entsendet sie paarweise in die Gemeinden, die er selbst noch besuchen wird. Sie sollen in seinem Namen das Evangelium verkünden und Wunder tun, also Kranke heilen, Dämonen austreiben, ja sogar Tote aufwecken. Dabei sollen sie, was ihre eigene Versorgung angeht durchaus pragmatisch vorgehen und sich in den Orten die Häuser aussuchen, wo in materieller Hinsicht gegeben werden kann.

Jesus erklärt hier das Wesen der Verkündigung. Den Menschen die Frohe Botschaft zu bringen, heißt das weiterzugeben, was man zuvor von Gott empfangen hat. Wir geben weiter, wir teilen mit und teilen. Menschen werden dadurch geheilt, also befreit aus irdischen Beschränkungen, von Dämonen befreit, d.h., sie bekommen Hilfe, sich von selbst gewählten Ketten und Abhängigkeit, die sie an diese Welt binden zu lösen und sie, die vorher in den Augen des Reiches Gottes tot waren, werden zu ewigem Leben erweckt.

Die Zwölf sind darüber hinaus bevollmächtigt, die irdisch sichtbaren Zeichen dieser Ketten, also Krankheit, Besessenheit und biologischer Tod zu lösen. Wir befinden uns hier in der Lernphase; ein neues Kapitel in der Beziehung zwischen Gott und den Menschen wird aufgeschlagen. Dies muss für Menschen sicht- und spürbar sein, denn Symbolik erkennen nur die bereits Eingeweihten. Auch sollen diese Wunder und die Verkündigung zunächst nur in jüdischen, nicht in heidnischen Städten geschehen. Für die Juden sind diese Zeichen für den Zeitenwechsel in der Tora bereits angekündigt, d.h., sie könnten die Zeichen verstehen, wenn sie wirklich glauben würden. Heiden, die meist auch irgendeine Form von Glauben besitzen, würden die Zeichen nicht verstehen und die Apostel als neue Götter anbeten.

So hat das Verbot, vor den Heiden zu predigen zwei Gründe: Der erste ist, dass sie zu diesem Zeitpunkt mit der Botschaft nichts anfangen könnten und sie falsch interpretieren würden, der zweite ist, dass diese neue Zeit den Juden bereits prophezeit wurde und ihr Glauben durch diese – zunächst exklusiven – Zeichen geprüft werden soll. Einige werden verstehen, viele werden, wie in den Prophezeiungen angekündigt in dieser Prüfung durchfallen. Sie verehren nicht Gott, sondern ihre Religion. Sie verstehen das Gesetz und die Propheten nicht als einen Weg zur Erkenntnis, eine Erziehung zur Sohnschaft, sondern als das Ziel selbst.

Unter den Zwölfen ist auch Judas Iskariot, der Verräter. Auch er erhielt damit Vollmacht über die Geister, die die Menschen auf dieser und in diese Welt binden. Er hat die Bedeutung dieser Vollmacht ganz offensichtlich nicht erkannt. Wir erfahren in der Apostelgeschichte, dass Judas, der sich nach dem Verrat selbst tötete, durch Wahl der übrigen Elf (zwei wurden vorgeschlagen) und Los, der Jünger Matthias zum zwölften Apostel ernannt wurde. Später wird Saulus, der bei der Steinigung von Stephanus, dem ersten Diakon der jungen Gemeinde, eine nicht unwesentliche Rolle spielte von Christus zum dreizehnten Apostel berufen, mit dem Spezial-Auftrag, das Evangelium in die ganze (heidnische) Welt zu tragen.

Die christlichen Kirchen leiten aus diesen Erzählungen ab, dass Apostel Christus persönlich gekannt haben müssen. Ich denke, dass beim Versuch, die Entscheidungen Jesu zu interpretieren, eine Überbewertung der Ämter innerhalb einer Glaubensgemeinschaft entstand, die uns heute im Wege steht. Jede christliche Glaubensgemeinschaft kann doch heute erkennen, dass offizielle Ämter und das damit verbundene Ansehen in der Öffentlichkeit gerade schwache Menschen in diese Positionen zieht, die auf solche Anerkennung angewiesen sind. Das heißt natürlich nicht, dass alle Menschen schwach wären, die ein Amt in einer Kirchenorganisation bekleiden! Doch Menschen, die sich selbst als im Dunkeln stehend empfinden, werden von dem Licht angezogen. Es zieht sie zum Licht. Dagegen kommt das Licht zu den Starken (das sind diejenigen, die ihre Schwäche(n) erkannt haben). Wichtig: Beide sind willkommen im Licht, doch sie erhalten unterschiedliche Aufgaben. 

Ein kleines Gedankenspiel: Wie gesagt, wählten bzw. losten die Elf Matthias zum zwölften Apostel. Und Jesus erwählte Saulus, der sich – als dreizehnter – als „unzeitige Geburt“ beschrieb. Was, wenn diese Wahl des Matthias gar nicht vorgesehen war und die Apostel hier hätten warten sollen, wie der Herr entscheidet? Übereilter Aktivismus aufgrund zu schwachen Glaubens ist in der Bibel spätestens seit Abraham bekannt. Die Jünger wussten zum Zeitpunkt des Losentscheids, dass Jesus lebt, er hatte ihnen als Auferstandener 40 Tage lang die letzten Geheimnisse der Prophezeiungen offenbart. Ein Los wäre nicht nötig gewesen, sie hätten ihn in den 40 Tagen davor einfach fragen können, taten es aber nicht und Jesus gab ihnen ganz offensichtlich auch nicht den Auftrag dazu (sonst hätten sie ja als erstes ihn gefragt). Als der auferstandene Christus dann Saulus zum Apostel berief, hätte sich das Prophetenwort ebenfalls erfüllt, denn Paulus wäre „der Andere“ gewesen, der das Amt des Judas erhält. Der Verräter Christi wäre durch einen bekehrten Verfolger Christi ersetzt worden. Das scheint gar nicht mal so weit hergeholt. Und dann würde die Berufung zu irgendwelchen Ämtern der Verkündigung innerhalb der Kirche ganz offiziell nicht zu den Kernkompetenzen eines selbst ernannten „inneren Zirkels“ gehören. Zu deren Kernkompetenzen gehörten die Aufgabenbereiche Besetzung der Ämter in Organisation/Verwaltung und Diakonie, genau, wie in der Apostelgeschichte beschrieben. Der Herr selbst sendet dann die Arbeiter in seine Ernte (Mt 9, 38). Wie gesagt: Nur ein Gedankenspiel.

Bei der unausweichlichen und anstehenden Neuorganisation der christlichen Glaubensgemeinschaft(en) wird es daher zunächst zu einer Umkehrung des Ämterverständnisses kommen müssen. Ein Amt erhält der Gläubige in dem Moment, in welchem er Christus in seinem Leben erkennt, also in dem Moment, in welchem sein Leben vom Heiligen Geist erfüllt und umgekrempelt wird. Er wird sich danach diesem Geist nicht mehr entziehen können (das konnte er davor auch nicht, dort hat er es aber nicht erkannt), er wird seine Aufgabe in der Gemeinschaft mit jedem Schritt deutlicher erkennen. Sein Amt wird sein, diese ihm übertragene Aufgabe, jeden Tag etwas besser auszufüllen. Diese Aufgabe kann im Bereich der Verkündigung, der Diakonie oder auch der Organisation/Verwaltung liegen. Damit Strukturen funktionieren, müssen sie sich organisieren. Dies wird meistens in Form einer Hierarchie geschehen, weil wir es so gewohnt sind – das muss aber nicht zwangsweise immer so sein. In einer christlichen Glaubensgemeinschaft steht Christus an der Spitze, die übrigen sind Gleiche unter Gleichen. Eine Hierarchie ist ein Hilfsmittel, sie bildet nicht die Hierarchie im Reich Gottes ab, sie ist ein Werkzeug der Organisation, kein Werkzeug des Glaubens, erst recht kein Symbol desselben.

In einer christlichen Glaubensgemeinschaft führen sich die Gläubigen gegenseitig im Glauben – jeder stützt den anderen und alle stützen einander und alle schauen auf Christus. Entweder die Interpretation ist richtig und ein Apostel hat Jesus persönlich gekannt, dann endete der apostolische Dienst mit dem Tod des letzten Apostels des Herrn und die Glaubensgemeinschaften gingen danach in eine Art Selbstverwaltung über und werden in Glaubensfragen nur noch vom Heiligen Geist geführt. Oder aber Christus beruft nach wie vor Apostel, dann ist das aber Berufung, kein Beruf. Dann studieren Theologen die aus dem christlichen Glauben abgeleitete Religion und sind zunächst und zuerst Religionswissenschaftler mit dem Spezialgebiet „christliche Lehre“ und keine Verkündiger. Dann werden die Verkündiger von Gott in die Gemeinden geschickt mit allen daraus abzuleitenden Konsequenzen. Ich bin überzeugt, dass viele Priester in christlichen Gemeinden sowohl Theologen als auch Berufene Gottes sind. Einige Wenige dagegen, fühlen sich von einem Amt in der Kirche angezogen, weil sie sich von der Ausübung eines religiösen Amtes Heilung von seelischen Qualen versprechen. Diese Funktion hatten Kirchenämter nie, wie das Scheitern der Leviten als Priester des Judentums dramatisch zeigt. Vom Verfahren, wie Priester in die Gemeinden kommen, bin ich ebensowenig überzeugt, wie vom Selbstverständnis der darüber liegenden Verwaltungsebenen also der Pfarreien (so sie mehrere Gemeinden zusammenfassen), Dekanate, Diözesen, Bistümer usw. Die aktuellen Entwicklungen und Enthüllungen nicht nur in der katholischen Kirche belegen, dass die gesamte Struktur hinterfragt und neu gedacht werden muss.

Jesus warnt die Zwölf vor ihrer Aussendung eindringlich vor Anfeindungen, Verleumdungen und Verfolgung. Wir müssen sehen, dass Jesus seine Apostel nicht „in die Welt“, sondern zu den Juden aussendet. All diese Warnungen bezeichnen daher in dem hier genannten Zusammenhang Gefahren von innen. Durch die Verkündigung des Evangeliums innerhalb der existierenden jüdische Glaubensgemeinschaft werden Zerwürfnisse und offener Streit entstehen. Es werden sich zwei Lager bilden: jene, welche die Befreiung durch das Evangelium mit Freuden und Dankbarkeit annehmen und jene, welche am alten, erstarrten Religionssystem festhalten; ein Riss, der quer durch die Familien laufen wird und der unüberbrückbar ist, denn wer versöhnt ist mit Gott, der ist verloren für jegliche Werke-Frömmigkeit, wer Frieden mit Gott hat, der handelt nicht mehr für die Erlangung dieses Friedens sondern aus der Kraft dieses Friedens heraus. Der wirkt für die andere Seite wie ein Ketzer, der alle ins Verderben reißt. Daher kann es keinen Frieden geben zwischen Empfängern der Gnade (Glaube ist der Schlüssel zum Heil) und Anhängern der Werke (Religion ist der Schlüssel zum Heil). Daher fordert Jesus seine Anhänger auch zu absoluter Friedfertigkeit im Alltag auf und dazu, für „die Feinde“ zu beten. Es hängt alles mit allem zusammen in der Lehre Christi.

Und wenn Jesus heute einen Jünger beruft und ihn in seine Kirche aussendet, so muss auch dieser vor denselben Gefahren auf der Hut sein, wie seinerzeit die Apostel. Jeder Versuch die erstarrten Strukturen dieser christlichen Religion aufzubrechen um wieder (besser) zum Evangelium durchzudringen, kann Anfeindungen, Verleumdungen, ja Verfolgung zur Folge haben. Die Vertreter der Strukturen selbst werden ihre ganze Macht einsetzen, Veränderungen aufzuhalten oder ganz zu verhindern. Dass seit jenem Tag auf Golgatha Christus selbst der Heilsbringer und einzige Vermittler zwischen Gott und den Menschen ist und damit jegliche Kirchenorganisation von dieser Aufgabe (und auch von diesem Privileg!) entbunden hat, mag in den Köpfen der Entscheidungsträger angekommen sein, bis in deren Herzen ist diese Erkenntnis aber auch nach 2000 Jahren oft noch nicht vorgedrungen.  Es liegt ein langer und steiniger Weg vor uns.

Doch gerade in diese bewegte und aufgewühlte Zeit hinein ruft unser Herr:

„Darum fürchtet euch nicht vor ihnen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet auf den Dächern!“ (Mt 8, 26-27)

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