Hesekiel 8 – 11 (13. – 16. Juni)

Etwa ein Jahr nach diesen Ereignissen erscheint ihm der Messias im Beisein der Ältesten von Juda und bringt ihn in einer weiteren Version in den Tempel von Jerusalem. Das Volk Gottes hat dort im Innenhof, also auf geheiligtem Grund, eine Götzenstatue errichtet. Hesekiel sieht im Tempel die Herrlichkeit Gottes und eine Stimme spricht zu ihm und führt ihn durch den Tempel.

Die Juden haben den gesamten Tempel entweiht und begehen und feiern dort heidnische Riten zu Ehren verschiedener Götzen, deren Bildnisse überall im Tempel aufgestellt sind. Gott kündigt Hesekiel an, dass seine Geduld nun endgültig am Ende ist. Er ruft in dieser Vision die himmlischen Strafrichter, damit sie die im Gesetz stehenden Konsequenzen vollziehen und die Götzenanbeter umbringen. Ein in weißem Leinen gekleideter Mann soll die Gerechten der Stadt markieren, sechs andere sollen die Unmarkierten umbringen. So geschieht es.

Nun erscheint wieder der Messias, dieses Mal wieder im Himmel auf seinem Thron. Er gibt dem mit weißem Leinen gekleideten Mann den Befehl, himmlisches Feuer über die ganze Stadt zu bringen. Während der Mann mit dem Feuer den Tempelbereich verlässt, erhebt sich die Herrlichkeit Gottes – es ist genau dieselbe Wesenheit aus den vier Cherubim, den Rädern und dem blitzenden Feuer  wie im ersten Kapitel – und macht sich auf, den Tempel durch das östliche Tor zu verlassen.

Auch Hesekiel wird nun zum östlichen Tor gebracht und trifft dort 25 angesehene Persönlichkeiten der Stadt, darunter auch einige der Ältesten, die derzeit in Hesekiels Haus leibhaftig zu Besuch sind. Diese sind offensichtlich der Meinung, sie hätten die Situation perfekt unter Kontrolle. Doch Gott macht sie für die durch die himmlischen Strafrichter Getöteten verantwortlich. Sie hätten den Pfad des Gesetzes verlassen und so das Volk zum Gesetzesbruch verführt.

Während Hesekiel diese Vision durchlebt, stirbt einer der Gäste, der in der Vision bei den 25 Personen stand. Hesekiel bittet daraufhin Gott verzweifelt um Gnade und er gewährt sie. Er wird alle, die hier in der Fremde ihrem Gott treu bleiben, wieder nach Israel zurückführen, damit sie die Götzen zerstören und wieder geeint in seinem Geist und seiner Wahrheit leben können.

Hesekiel gibt auch dies an die Verbannten weiter.

Wieder mischen sich historische Tatsachen – Jerusalem dürfte zu diesem Zeitpunkt weitgehend entvölkert gewesen sein – mit himmlischer Ursachensuche. In der ersten Vision hatte Gott Hesekiel gezeigt, wie das Volk nach und nach von seinem Gesetz abgefallen, ihm untreu geworden war und dass es dadurch das gelobte Land verlor. In dieser Vision werden ihm die tieferen Gründe für die Geschehnisse nahegebracht.

Wir erleben Götzendienst im Tempel, das heißt, nicht das Volk, sondern die Führung der Glaubensgemeinschaft war von Gott abgefallen. Sie dienten den Götter – besser gesagt Götzen – die eben gerade modern waren. Vielleicht waren sie dem Wunsch einzelner Interessengruppen gefolgt, vielleicht sahen sie aber in schwierigen Zeiten einfach nur ihre Felle, also ihren Einfluss, davonschwimmen und schlugen deshalb Glaubensrichtungen ein, die ihnen Macht und Einfluss sichern sollten. Natürlich folgten breite Gruppen des Volkes dieser Richtung; wem kannst du noch vertrauen, wenn du nicht mal mehr deinen spirituellen Anführern trauen kannst? Wir wissen auch bereits aus den Chroniken, dass es in der Zeit des Untergangs starke Abhängigkeiten zwischen König und Priestertum gab und vom König häufig willfährige Priester eingesetzt wurden. Gottes Fußvolk war also unzuverlässig geworden; dies hatte den Glauben des Volkes geschwächt und letzten Endes zum Untergang des Reiches geführt.

Wenn Gott in dieser Vision also Strafrichter einsetzt, dann macht er damit nur den bereits begangenen Fehler und die sich darauf ergebenden Konsequenzen offenbar. Mit Hilfe der irdischen Vorkommnisse demonstriert er die – in der Welt nicht sichtbaren – Folgen für den Vertrag, den das Volk einst mit ihm geschlossen hatte. Er macht deutlich, dass sie – anders als es die 25 Herren am östlichen Tor meinen – die Sache nicht unter Kontrolle haben, dass sie eben nichts geschaffen haben, was ihren Bestand sichert. Es hatte ihnen vielleicht für eine gewisse Zeit die Macht im Volk gesichert, ihren Platz bei Gott hat es sie aber gekostet. Ein zu großer Preis für den Erhalt irdischer Macht!

Mit dem Bild der Erschlagenen und der mit himmlischem Feuer geläuterten Stadt macht Gott nun deutlich, dass er im Gericht alles Falsche auslöschen wird. Er, Gott! Er tut dies, weil die Führung es aus eigener Kraft ganz offensichtlich nicht vermochte, sondern im Gegenteil immer tiefer in Fehleinschätzung, Überheblichkeit und Schuld versank. Und er macht auch deutlich, dass er die Führung für das Versagen des Volkes verantwortlich macht. Die Wut Gottes richtet sich also gegen die Kirchenführung, die sein Volk zur Sicherung von Macht und Einfluss in die Irre geführt hat.

„Aber wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr das Reich der Himmel vor den Menschen zuschließt! Ihr selbst geht nicht hinein, und die hinein wollen, die lasst ihr nicht hinein.“ (Mt 23,13)

Mit seinem Rückzug aus der Stadt macht Gott erstmals deutlich, dass die Menschen nicht in der Lage sind, seinen Willen so zu erfüllen, dass sie sich vor ihm rechtfertigen („gerecht sprechen“) können.

Doch er erklärt Hesekiel auch, dass die Treuen in der Verbannung nach Jerusalem zurückkehren werden. Er wird sie mit einem neuen Herz und einem neuen Geist ausstatten, so dass sie Frieden mit ihm haben werden. So betrachtet ist die Verbannung und der Untergang des Königreiches keine Strafe, sondern Errettung! Gott hat sein Volk unter die Heidenvölker verstreut, um sie vor den falschen Priestern in ihrer Heimat zu erretten. Unter fremden Himmeln können sie sich auf ihre Wurzeln, ihren Gott besinnen und wieder zur ihm zurückfinden, denn jetzt kommt die falsche Lehre eben nicht mehr vom heiligen Tempel, sondern von einem fremden Herrscher und ist auf diese Weise leicht zu identifizieren, leichter auf jeden Fall, als wenn sie von den eigenen Priestern verkündet wird.

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