Rollen und Selbstfindung

Fastenzeit. In dieser Fastenzeit bin ich am „Drachen bändigen“. Ich habe mir das nicht ausgesucht, es war jetzt einfach dran, wie ja schon „Wenn der Verstand lügt“ vorbereitend andeutete. Wenn du so willst, hat Gott mir das morgens auf den Tisch gelegt und gesagt: „Mach mal!“ Dann habe ich erst mal versucht, das zu ignorieren, weil es ein unschöner, belastender Zeitvertreib ist, aber du kennst ja Gott.

Ich habe dieser Tage mein Titelbild bei Facebook geändert, weil das mehr meinen augenblicklichen, inneren Zustand widerspiegelt als das bisherige. In diesem Titelbild geht es um Rollen:

 Ich bin ein Mensch

In der Tat empfinde ich das Leben als ein Ausfüllen von Rollen. Wir werden als Mensch geboren, später kommt die Rolle Mann oder Frau dazu. Wir sind Fremde, Bekannte, Kollegen, Freunde, Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Freunde Jesu, Kinder Gottes … - alles sind Rollen.

Ich persönlich strauchle schon oft genug bei der allerersten Rolle „Mensch“. Wenn es das Wesen des Menschen ist, sozial in Gruppen zu leben, warum bin ich dann egoistisch, eifersüchtig? Warum suche ich die Stille und Einsamkeit, wenn ich doch nur in der Gruppe Mensch bin? Warum verunsichern mich Interaktionen mit anderen, wenn das doch zum Kern des Menschseins gehört?

Mann sein ist dann schon zu viel. Es ist eine Rolle, die überhaupt nicht zu mir passt, mit der ich im Alltag nicht gut klarkomme. Und ich denke nach und stelle fest: Jede andere Rolle anstatt „Mann“ wäre wieder nur eine aufgezwungene Rolle und würde genausowenig zu mir passen! Also mache ich das Beste aus dieser Rolle.

Was die meisten anderen Rollen betrifft, so bin ich in der glücklichen Situation, dass ich fast nie dazu komme, drüber nachzudenken. Einfach nur Mensch sein macht mir schon genug Arbeit.

Der andere Teil ist die Selbstfindung: Wer bin ich? Wer bin ich wirklich – jenseits der Rollen?

Am Beispiel „Freund sein“ erkläre ich mir das so: Der Freund ist eine Rolle, in die ich schlüpfe, sobald ich eine Freundschaft eingehe. Die Freundschaft dagegen ist ein Prozess, dessen Ergebnis mehr ist als die Summe der eingebrachten Teile. Freundschaft gehört daher zur Selbstfindung, denn durch das Erleben von Freundschaften werde ich mehr, als ich bin, und ich und mein Freund sind zusammen mehr, als wir einzeln wären.

In der Bibel steht: Mann und Frau werden ein Fleisch sein. In ähnlicher Weise gilt das auch für Freundschaften. Die Freundschaft verändert beide und das lässt sich nicht mehr rückgängig machen, auch wenn vielleicht die Freundschaft irgendwann endet oder gar zerbricht.

Als Freund plagt mich natürlich oft der Gedanke „Bin ich gut genug? Bin ich ein guter Freund?“ und wenn es dann mal so richtig schief geht: „Warum bin ich, wie ich bin? Warum kann ich nicht anders sein?“ Wir straucheln alle in unseren Rollen, der eine mehr, der andere weniger. Gerade in der Gemeinde, gerade in der Freundschaft mit Jesus spielt das aber gar keine Rolle, das hat Jesus mir in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich gemacht. Er schaut nicht auf den Freund, wie er seine Rolle ausfüllt, sondern auf mich und die Freundschaft und was sie aus mir macht. Und das was sie aus mir macht, das ist gut in seinen Augen.

Als Jesus vor dem Hohen Rat stand und gefragt wurde: „Bist du der Messias?“ antwortete er: „Ich bin’s.“ In der Übersetzung geht da der Hauptgrund der Entrüstung des Fragers verloren. Jesus benutzte als Antwort die Formulierung „Jahwe“ oder „Jehowa“ (so genau lässt sich die Aussprache heute nicht mehr rekonstruieren), er benutzte als Antwort also den Namen, den Gott sich selbst bei seiner Offenbarung vor Moses gab. Im ursprünglichen Verständnis leiten wir von dieser Formulierung die Wesenseinheit Jesu mit seinem himmlischen Vater ab, aber da steckt mehr drin.

Gott sagte zu Moses im Grunde (und so steht es ja auch in der Bibel): „Ich bin der ‚Ich bin‘“. Gerne ergänzen wir das zu „Ich bin da“, weil Gott uns in jeder Situation nahe ist. Aber auch als „Ich bin“ hat der Name eine schier nicht zu erfassende Bedeutung für jeden einzelnen von uns und die liegt nicht einmal in der Größe dieses Gottes.

Gott sagt über sich „Ich bin.“

Jesus sagt über sich „Ich bin“ und fordert uns auf ihm nachzufolgen. In diesem langen Text hier wird für mich deutlich, was Jesus-Nachfolge noch bedeutet. Es bedeutet „Ich bin!“ Vor Gott gibt es keine Rollen, Gott fordert uns auf, auf seinen Sohn zu hören und das heißt, wir sollen genau wie er uns das zeigt einfach sein. Alles andere ergibt sich aus der Freundschaft mit ihm und aus der Freundschaft mit seiner Gemeinde.

Rolle und Selbstfindung: Ich bin kein Macher, kein Entscheider. Ich werde kein Haus bauen, kein Baum pflanzen und kein Kind zeugen, was Männer halt so tun. Ich brauche den Ruf. In seine Gemeinde hat Gott mich gerufen, dass ich dieses Projekt hier starte und pflege, hat er mir aufgetragen. Eine Aufgabe zu haben, etwas für jemand zu tun, das fühlt sich für mich gut an, eine Rolle auszufüllen ist eine Last für mich und das, obwohl ich selbst in Rollen denke (was zu ändern wäre!). Ja, ich erinnere mich, selbst bei meinem Job, den ich in dieser Welt ausübe, kam ziemlich bald das Gefühl auf, dass Gott mich dorthin gestellt hat, damit ich lerne, damit ich die Dinge lerne, die ich über mich wissen muss. Die Freundschaft zu Gott hat sich schon auf mein Leben ausgewirkt, viele Jahre, ehe ich die Rolle Freund angenommen habe.

Ich bin, Herr! Ich danke dir für diesen Tag, an dem ich sein kann. Amen.