Psalm 22 (1. + 2. Juni)

Wieder gibt sich David seinem Gott ganz hin, dieses Mal in seiner Verzweiflung. Wieder übernimmt Gott. Nicht nur David fleht zu Gott, Gott spricht durch sein Flehen.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ ruft David in seiner Verzweiflung und ruft Jesus kurz vor seinem Tod am Kreuz zu seinem Vater – das einzige Mal im ganzen Evangelium, in dem Jesus zu seinem Vater spricht und ihn nicht mit Vater sondern mit Gott anredet.

In den nachfolgenden Versen beschreibt David seine Situation, die ihn körperlich aber auch geistlich an die Grenze des Todes bringt – und er beschreibt in seiner Situation die Einzelheiten der Hinrichtung Jesu von den Misshandlungen beim Verhör, über die Lästerung der Ungläubigen unter seinem Kreuz und dem Los um seine Kleider bis hin zum allmählichen Zerbrechen des Körpers Jesu unter der Marter am Kreuz.

Und dann öffnet Gott David ein Fenster zum Himmel und lässt ihn das Ergebnis schauen:

Die Zerstörung des biologischen Leibes Jesu bildet den Anfang seines Sieges. Die Welt sieht sein Sterben und seinen biologischen Tod, aber er stirbt nicht; er bezwingt die Welt und er fängt mit seinem eigenen weltlichen Körper an. Ein qualvoller Akt, für ihn körperliche Wirklichkeit aber auch Zeichen für jeden Gläubigen: Du musst die Welt hinter dir lassen um den Himmel zu gewinnen! Jeder von uns erhält seinen Körper, seine weltliche Existenz aus dieser Welt. Aufzugeben, was uns augenscheinlich ausmacht, ist eine Herausforderung, die Augen weg von der Welt und hin zum Vater zu richten, wird uns Probleme bereiten, wird Schmerz bedeuten. Jeder von uns muss dieses Kreuz auf sich nehmen, jeder von uns muss diese Welt hinter sich lassen. Ihr lebt in der Welt, aber ihr seid nicht von der Welt. Nutzt, was euch diese Welt gibt – auch eure Körper, aber haltet euch nicht daran fest!

Jesus gewinnt! Das letzte Drittel des Psalms handelt von seinem Sieg. Dass es sich hier nicht mehr um Davids Sieg handelt, sondern um den unseres Gottes, unseres Vaters, sehen wir darin, dass hier nicht vom Triumpf Davids über die Nationen an seinen Grenzen erzählt wird, sondern von allen Königen der Welt, die sich dem einen König unterwerfen. David berichtet, wie weltweit eine Generation der nächsten vom Triumpf Gottes erzählen wird.

„Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mt 16,15)

Gott hebt David aus seiner Zeit und lässt ihn den Messias schauen und David erzählt uns davon. David sieht, was wir seit 2000 Jahren erleben.

„Es ist vollbracht“ waren die letzten Worte des biologischen Jesu. Man wird sagen „Der Herr hat es vollbracht!“ sind die letzten Worte des Psalms.

„Es ist vollbracht!“ Genau in diesem Augenblick endete die alte Welt und die neue Schöpfung begann. Wer glaubt, wer im Herzen glaubt, der kann es sehen – durch alle weltliche Not und Zerstörung hindurch. Er sieht, wie das Reich Gottes Raum greift in dieser Welt, wie Gott in seiner Liebe und durch seine Liebe heilt was an der Welt krank ist.

Im biologischen Sterben Jesu am Kreuz sehen wir den Weg, den diese Welt nehmen wird, die Art, wie Gott die Welt heilt: Die gefallene Welt gibt alles Weltliche auf, die Welt der Dinge wird zerstört, zerstört sich selbst, weil Gott sie nicht mehr zusammenhält. Der Zusammenbruch des Körpers Jesu und das Zerreißen des Tempelvorhangs bilden den Anfang. An was die Welt krankt – alle Symptome der Ursache Sünde, das zerstört sie letztendlich auch. Ihr eigener Zusammenbruch ist das für die Welt sichtbare Zeichen des dahinter anbrechenden Reich Gottes. Glaube ist nötig um den stillen Anfang des Neuen hinter dem lauten, effektvollen Ende des Alten erkennen zu können.

Haltet durch, ihr Kinder Gottes! Ihr erlebt das letzte Aufbäumen der alten Welt, ehe sie fällt. Es wird bis zum Schluss danach aussehen, dass die Welt gewinnt, aber ihr seht, wie sie fällt. Sie ist vor 2000 Jahren gefallen. „Euer Herz verzage nicht“ oder etwas moderner: Lasst euch nicht irre machen! Gott hat sich euch, den Hilflosen, Schwachen, Armen zugewandt. Ihr lebt und ihr werdet leben, denn Gott hat euch vor 2000 Jahren durch seinen Sohn gerettet. Glaubt und lebt!

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