Das ganze Kapitel 19 steht unter dem Thema „Der König kommt!“
Der erste Abschnitt vom Oberzöllner Zachäus handelt dabei vom Zweck seines ersten Kommens. Jesus, der König, sammelt die Verlorenen seines Reiches ein. Das ist einzige praktische Grund seiner Menschwerdung, der theologische ist natürlich die Verkündigung – die Proklamation – seines himmlischen Reiches. Die Menschen müssen ja wissen, von welcher Ordnung hier die Rede ist.
Zachäus steht für alle Verlorenen, die Jesus suchen, wie man sieht: aktiv suchen. Zachäus klettert auf einen Baum um den Herrn zu sehen. Umgekehrt sieht man aber auch, Jesus schaut ihn explizit an und erklärt ihm, dass er zu ihm kommen muss. Der König kommt, weil es seine Aufgabe ist, die Verlorenen zu finden. Hier wird das schon an anderer Stelle erwähnte Wechselspiel zwischen Retter und Gerettetem deutlich: „Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn der Vater zieht ihn.“ (Joh 6,44) Jesus wusste von Zachäus, ehe der wusste, dass er auf den Baum steigen würde. Jesus wusste von dir, ehe du bemerkt hast, dass all diese Texte hier von dir handeln.
Das Wörtchen „muss“ zeigt uns aber noch was anderes über Jesus: Beim ersten Mal, das sich hier auf dem Weg nach Jerusalem nun langsam dem Ende zuneigt, kommt/kam er eben nicht als König, sondern als Diener in höherem Auftrag. Etwas, das seine Jünger erst in einigen Tagen auf sehr drastische Weise in der vollen Härte begreifen werden.
Die Rettung, die erfolgt ist umfassend. Zachäus ist nicht wieder zu erkennen: Er gibt die Hälfte seines Besitzes den Armen und von der anderen Hälfte entschädigt er die von ihm betrogenen Menschen. Es ist klar, warum es hier immer ums Geld geht, das ist als Beispiel sehr direkt nachvollziehbar. Da steckt aber mehr dahinter, als einfach nur Geld abzugeben. Zachäus löst sich vom Weltlichen an das er bisher gekettet war und wird daher frei für die Rettung. Zachäus ist ein neuer, ein aus dem Geist geborener Mensch geworden. Somit steht die Aufgabe weltlichen Besitzes stellvertretend für Frieden in der Seele des Menschen, Frieden mit Gott, die jeder erfährt, der Jesus in sein Haus lässt.
Im Gleichnis mit den Pfunden (in einem anderen Evangelium sind es Talente) erklärt er den Jüngern, dass sein Auftrag nun bald an sie – also an uns alle – übertragen werden wird, denn er wird zu seinem Vater gehen (im Gleichnis: in ein fernes Land) um dort die Königswürde zu erlangen. Die Pfunde oder Talente stehen für das Evangelium und die Vollmachten, die derjenige erhält, der das Wort empfangen hat. Es ist unsere Aufgabe sein Werk fortzusetzen, nämlich „zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19, 10). Während er die Königswürde erhält, übernehmen wir also seine Rolle des Dieners Gottes, denn auch wir werden, wenn Christus in sein Eigentum zurückkehrt, Fürsten im Reich Gottes sein, jeder nach seinem Einsatz. Wichtig dabei ist: Die Pfunde, also das Wort, haben wir von Christus empfangen; dieser wird uns nach unserer Dienerschaft als Fürsten einsetzen. Christusnachfolge heißt, niemals das Wort zu missbrauchen, um damit Macht zu erlangen. Niemals darf ein Christ also auf eigene Rechnung – im eigenen Namen – verkündigen. Später wird Jesus vor diesen falschen Propheten sogar warnen. Hier warnt er lediglich davor, das Wort, das wir empfangen ungenutzt vergammeln zu lassen. Wenn Gott dich ruft, dann hat er auch eine konkrete Aufgabe für dich! Es sollte dir dann unmöglich sein untätig zu bleiben.
Für einen König untypisch zieht Jesus auf einem Eseljungen in Jerusalem ein. Zum einen erfüllt er damit eine alte Prophezeiung zum anderen unterstreicht er damit seine Dienerschaft. Trotzdem jubeln und preisen seine Jünger auf dem Weg die Ankunft ihres Königs. Entgegen der landläufigen Meinung dürfen wir nicht annehmen, dass ganz Jerusalem auf den Beinen war an jenem Palmsonntag und Jesus zugejubelt hat. Gejubelt haben vermutlich seine Jünger, die mit ihm zogen und seine Anhänger aus der Region, die wegen dem nahen Passah-Fest in Jerusalem waren – gerade genug Menschen, um damit Aufsehen zu erregen. Als Pharisäer dieses Tamtam kritisieren verteidigt Jesus deren Verhalten. Die Jünger machen nur sicht- und hörbar, was aller Welt klar sein wird, eben nur den Juden nicht: Der König kommt in sein Eigentum.
Und das ist es auch, was Jesus wirklich schmerzt in diesem Moment: Über Jahrhunderte hinweg hat Gott diesen Moment vorbereitet, über Generationen hinweg wurde dem Volk Gottes verkündet, was geschehen würde und jetzt, wo’s drauf ankommt, verpasst die Stadt Gottes den einen Moment, der sie gerettet hätte. Somit wird sich auch das angekündigte tragische Schicksal für die Stadt, das Land und das Volk erfüllen müssen. Die Stadt Gottes wird untergehen und Zankapfel der Weltgeschichte bleiben, bis Gott selbst sie wieder errichtet.
Der erste Weg führt Jesus natürlich ins Haus seines Vaters, in den Tempel. Dieser hat sich aber, jetzt kurz vor dem Passahfest, in ein Kaufhaus verwandelt. Es war für die Gläubigen oft zu mühselig ihre Opfertiere quer durchs Land bis zum Tempel in Jerusalem zu treiben, daher ist schon im Gesetz geregelt, dass sie diese Tiere auch daheim verkaufen und für das Geld in Jerusalem andere Opfertiere kaufen dürfen. Nun wurde aber in ganz Israel mit römischem Geld Handel getrieben, das unrein war und deshalb nicht in den Tempel gebracht werden durfte. Man darf sich schon fragen, warum Opfertiere dann halt nicht einfach außerhalb des Tempels verkauft wurden. Hätten die Gläubigen ihre Opfertiere von zu Hause mitgebracht, wären sich ja auch über diese Straßen gezogen. Die Antwort ist natürlich sofort einsichtig: Auf diese Weise wurde spezielles Opfergeld notwendig und damit ließen sich prima Geschäfte beim Geldwechseln machen. Weiteres Geld verdiente man sicher, indem man den Händlern im Hof des Tempels Standgebühren abknöpfte, die diese – zuzüglich des einkalkulierten Gewinns – auf den Einkaufspreis der Tiere draufschlugen. Passah war für alle Beteiligten ein Bombengeschäft, eine Kommerzveranstaltung mit Volksfestcharakter wie bei uns Weihnachten.
Das treibt den ansonsten friedlichen Jesus auf die Palme. Dafür hat sein Vater diese Feste nicht eingeführt und auch der Tempel hatte ursprünglich einen anderen Zweck. Hier wohnt der Name Gottes, es ist der Ort der Ehrfurcht, des Gebetes – es ist genau genommen das Kinderzimmer Jesu (Lk 2, 41-52). Und was findet Jesus vor, als er heimkommt: Eine Markthalle mit entsprechendem Geschrei, Gefeilsche und natürlich auch Betrug. Deshalb und weil er zu diesem Zeitpunkt weiß, dass er die Pharisäer nun zum Jagen tragen muss, weil die Zeit sich erfüllt, deshalb treibt er alle Händler mit einem deutlich zu vernehmenden Aufschrei seiner Entrüstung aus dem Tempel hinaus. Die Aktion hat die beabsichtige Wirkung bei den Oberen nicht verfehlt.