Hiob 11 – 14 (7. – 10. Juni)

Zophar, der nun spricht, ist offensichtlich ein Eiferer. Er beschwört Gott, diesem dummen Schwätzer Hiob Erkenntnis und Weisheit einzuprügeln, damit dieser sein Unrecht erkenne und seine Nichtigkeit gegenüber der Größe des Allmächtigen.

Jedes Zeitalter bringt diese charismatischen und oft apokalyptischen Prediger hervor. Sie predigen Sünde und Gericht. Sie verstehen sich als Staatsanwalt Gottes. Und überraschenderweise laufen ihnen die Menschen in Scharen hinterher; offensichtlich will der Mensch gerichtet werden. Paulus hat recht, wenn er sagt, Gott hat dem Menschen, auch den Heiden, das Gesetz ins Herz gelegt! Selbst eine nur schwache und diffuse Gotteserkenntnis reicht aus um als Individuum das eigene Versagen vor dieser allmächtigen, allwissenden Gerechtigkeit zu erkennen.

Hiob ist aber schon in seinem Gericht bzw. empfindet seine gegenwärtige, erbarmenswerte Situation als solches. Nach seinem Empfinden steht er völlig unschuldig vor seinem Richter, die vermeintlich klugen Worte der Freunde verkommen hier zur Binsenweisheit, zu leeren Phrasen, die frommen Reden zu weltfremdem Geschwätz – weltfremd im Sinne von abgehoben, der wirklichen Welt entfremdet und daher unnütz. Hier wird ein Ausschlussverfahren für ein der Welt noch zu offenbarendes Wort Gottes sichtbar: Es darf nicht abgehoben sein; es darf auch nicht „von oben“ über das Geschöpf gestülpt werden. Ein ferner Gott wird die Menschen nicht erreichen. Das Wort Gottes auf der Suche nach sich selbst?  

Wieder fordert Hiob seinen Gott auf, ihm ein faires Verfahren zu gewähren. Ja, gewiss, Hiob überhebt sich an seinem Gott mit dieser Forderung und er weiß es, wie die letzten Verse von Kapitel 12 deutlich machen, doch mit Blick auf Jakob wissen wir, Gott liebt diese Sturköpfe, die es wagen, sich mit ihm anzulegen. Auch wenn sich der Autor darüber ausschweigt, bin ich überzeugt, Gott wird in diesem Moment mit großer Achtung auf den am Boden liegenden Hiob geblickt haben: An Leib und Seele niedergestreckt, von der eigenen Frau verachtet und von den Freunden auf Schärfste attackiert, richtet der Mann seinen Blick gen Himmel und fordert Gott heraus.

Hiob stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens. Er vergleicht das menschliche Leben mit den Kreisläufen in der Natur, wie jedem Ende doch auch immer ein neuer Anfang innewohnt. Und bezogen auf seine Situation macht er Vorschläge. Gott, der die Lebensspanne des Menschen genau ausgemessen habe, d.h. da gibt es ein vorbestimmtes Ende, warum lässt er ihn dann in dieser Zeit nicht einfach in Ruhe, lässt ihn sein Werk tun, lässt ihn ins Totenreich fahren und dann, wenn es ihm beliebt, ruft und richtet er ihn. Es sei doch ganz klar, dass ein Mensch unrein (also ein Sünder) sei, denn er werde von unreinen Menschen geboren. Es sei nicht zu rechtfertigen, ihn für etwas zu bestrafen, wofür er doch gar nichts könne. Hier setzt er natürlich wieder voraus, dass sein Lebenswandel bis zu diesem Punkt ganz dem Willen Gottes entsprach. Aus dem Anfangsdialog im Himmel wissen wir ja, dass es das vermutlich auch tat, aber davon kann Hiob ja nichts wissen, d.h., er behauptet auch gerechter zu sein als der Gott der über ihm steht. Doch er versteht auch, dass es aufgrund der sündigen Natur des Menschen am Ende einer Läuterung (im Totenreich) bedarf. Und er legt fest: Eine solche Läuterung müsse endlich sein, denn selbst Berge würden ja mit der Zeit von Wind und Wasser abgetragen.

Wir erleben hier eine wichtige Komponente eines starken Glaubens: Erkenne die Macht Gottes an, aber ducke dich nicht weg. In bestimmten Situationen kann sich Lobpreis auch in Form von offenem Streit ausdrücken.

Hiob hat klare Vorstellungen darüber, wie ein Gott zu handeln und zu richten habe und teilt ihm das mit. Das ist nicht trivial, denn die Frage nach einem höheren Sinn des Lebens, als die bloße Existenz – Geburt, Leben, Tod – beschäftigt die Philosophen seit Menschengedenken. Vor Moses war Gott nur für diesen Abschnitt des Lebens zuständig, Gottgefällige durften einen entsprechenden Segen in diesem Leben erwarten, Segen im Sinne von Wohlstand aber auch vor allem viele Nachkommen, die die eigene Blutlinie fortführen. (siehe den Segen Gottes für Abraham)

Hiob denkt hier über die Zeit danach nach, in seiner an Gott gerichteten Frage (Vers 14) steckt der Glaube, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Offensichtlich hat Gott also nicht nur das Gesetz in das Herz eines jeden Menschen gelegt, sondern auch die Suche nach dem Sinn des Lebens, etwas, das über diese momentane Existenz hinausreicht, Ewigkeit genannt. Gott hat also auch die Suche nach ihm in das Herz des Menschen gelegt – die Suche nach Gott, die Wurzel des Glaubens. In all seinen Vorwürfen erkennt Hiob nicht nur die Macht seines Gottes an, er erkennt auch mehr von dessen Wesen als seine Mitstreiter: Gott ist nicht nur Schöpfer, Versorger, Erhalter und Zerstörer in der Zeit (in dieser Zeit) – er herrscht auch über die Zeit hinaus, jenseits der Zeit. Das setzt voraus, dass es ein „Jenseits der Zeit“ gibt. Aus den Äußerungen Hiobs lässt sich zwar nicht schließen, dass seine Gedanken bereits so weit reichen, doch der Ansatz dazu ist bereits erkennbar. Hiob fragt nach / glaubt an eine Welt jenseits der hier geltenden Regeln und Beschränkungen, denn er bezeichnet sein gegenwärtiges Leben als Frondienst, für den es eine von Gott festgesetzte Zeit gibt. Diese Auffassung leitet er zwar aus seinem gegenwärtigen Leiden ab, beschränkt sie aber nicht auf diese. Leben ist Frondienst, so Hiob.

Und wir finden durch diesen Disput Hiobs einen weiteren Punkt, der durch ein zu offenbarendes Wort Gottes zu klären sein wird: Leben und Ewigkeit bei Gott. Ein Wort Gottes wird diese Verheißung beschreiben müssen, denn ein Wort Gottes muss die Fragen beantworten, die Gott zuvor in den Menschen gelegt hat.

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