Ruth 1 – 4 (16. – 19. Mai)

Das Buch Ruth verbindet das Buch der Richter mit den Büchern Samuel, denn es spielt gegen Ende der Richterzeit, wie gleich Vers 1 berichtet.

In jener Zeit herrscht eine Hungersnot in Israel und so beschließt Elimelech mit seiner Frau Naemi und seinen Kinder Machlon und Kiljon aus Bethlehem gen Osten nach Moab auszuwandern. Die Söhne heiraten in der neuen Heimat moabitische (also heidnische) Frauen, Orpa und Ruth. Im Laufe von zehn Jahren stirbt zunächst Elimelech und dann auch Machlon und Kiljon, so dass die Frauen allein zurückbleiben.

Als Naemi erfährt, dass es in Israel wieder Brot gibt, beschließt sie, dorthin zurückzukehren, denn eine Witwe ohne männliche Nachkommen war in jenen Tagen aufs Betteln angewiesen. Nach einigem Bitten Naemis bleibt Orpa in Moab, um sich dort einen neuen Ehemann und Versorger zu suchen. Ruth bleibt vom Flehen Naemis unbeeindruckt. Je mehr die Schwiegermutter fleht: Kehr um! Destomehr beharrt Ruth darauf bei ihr zu bleiben. Die Heimat ihrer Schwiegermutter soll zukünftig auch ihre Heimat sein, der Gott Naemis auch ihr Gott.

In Bethlehem angekommen, macht sich Ruth gleich morgens auf, Gerste von den Feldern der Reichen zu sammeln. So war nach dem Gesetz Mose die Versorgung der Mittellosen gesichert worden: Wenn die Felder abgeerntet wurden, sollte der Eigentümer am Rand des Feldes Getreide stehen lassen, außerdem sollten Ähren, die während der Ernte zu Boden fielen, liegen gelassen werden. Mittellose konnten sich so mit Erlaubnis der Eigentümer in bescheidenem Maße selbst versorgen.

Wie es der Zufall so will, kommt Ruth zu den Äckern des Boas, einem entfernten Verwandten von Naemi und als der sie auf seinen Feldern entdeckt und erfährt wer sie ist, erweist er sich als äußerst großzügig. Er gibt Anweisung, ihr absichtlich Gerste auf den Boden fallen zu lassen, damit sich die Plagerei auch lohne, er erlaubt ihr, vom Wasser zu trinken, das seine Knechte schöpfen und er lädt sie sogar zum Essen ein. Außerdem bittet, eigentlich befiehlt er Ruth, auch nur noch ausschließlich auf seinen Feldern zu sammeln.

Als Ruth am Abend ihrer Schwiegermutter davon erzählt, erkennt die das Interesse des Boas an der jungen Frau und erinnert sich an ein anderes Gesetz, wonach ein Verwandter eine kinderlose Witwe als Frau annimmt, um auf diese Weise dem Verstorbenen Erben zu zeugen. Sie erklärt Ruth, was sie tun soll und diese gehorcht.

Am Ende nimmt Boas Ruth zur Frau und diese wird zur Stammmutter des Hauses David.

Man nimmt heute an, dass der Prophet Samuel selbst das Buch Ruth geschrieben hat, vermutlich um eben gerade die Lücke zwischen dem trostlosen Ende des Buches Richter und dem in seinen Büchern beschriebenen Aufbruch des Volkes sinnvoll zu verbinden. Soweit die chronologische und logische Begründung für die Notwendigkeit dieses Buches.

Doch wir wissen auch: „Der Mensch denkt – Gott lenkt!“ (Spr 16,1)

Auch wenn Samuel hier vielleicht einfach nur die Ahnentafel seines Schützlings David schließen wollte, hat Gott hier auch Aussagen und Lehren für uns eingepackt.

Da ist Elimelech, der sein ihm von Gott gegebenes Land zurücklässt, weil er nicht glaubt, dass dieses Land – dass Gott – ihn weiter ernährt und seinen Schirm über ihn hält. Die objektiven Beobachtungen – im ganzen Land herrscht Hungersnot – scheinen ihm Recht zu geben. Vermutlich hat er vor dem Abbruch des alten und Aufbruch in ein neues Leben viel gebetet, doch die Situation wurde nur immer schlimmer. Schließlich sah er keinen Ausweg mehr und ließ sein Land zurück.

Hier wird von einer realen, körperlichen Not erzählt, die Existenz, das Überleben Elimelechs und seiner Familie war bedroht und diese Bedrohung wirkte sich unmittelbar auf seinen Glauben aus, denn er zog nicht einfach zu Verwandten, denen es vielleicht noch etwas besser ging, er verließ das gelobte Land Gottes. Auch heute sind gläubige, gottesfürchtige Menschen immer wieder in ihrer Existenz bedroht. Die soziale Schere geht weltweit immer weiter auseinander, die Armut ist in allen Ländern auf dem Vormarsch, auch in den reichen. Es muss nicht immer gleich der Hungertod sein, der an der Tür klopft, auch der soziale Tod – abgehängt sein, vom allgemeinen gesellschaftlichen Leben – ist nicht weniger existenzbedrohend, denn Mensch sein ist mehr als irgendwie satt zu sein, der Hunger eines Menschen beschränkt sich eben nicht nur auf Nahrungsmittel.

In Elimelech erkennen wir den dritten Tod, den der Seele – von dem ja auch in den letzten Kapiteln des Buches Richter schon die Rede war. Im alltäglichen Überlebenskampf starb zuerst die Seele Elimelechs. Er verlor die Hoffnung und fand in einer Gesellschaft, in der aufgrund der Not jeder mit sich selbst beschäftigt war, keinen Halt in der Gemeinde. Noch ehe er aufbrach, war er zu dem Schluss gekommen, dass er allein und verlassen sei – verlassen von seinen Mitmenschen, verlassen von Gott, der nun einmal immer über Menschen auf Menschen zugeht. Und wir erkennen, der Tod der Seele ist vielleicht der folgenschwerste.

Elimelech ist es dann zwar gelungen, sich außerhalb Israels – also losgelöst von Gott – eine Existenz für sich und seine Familie aufzubauen, doch die zerbrach mit dem Tod aller Männer in der Familie. Am Ende lösen sich alle Pläne für die Zukunft, ja die Zukunft selbst in Luft auf. Und das ist auch die Aussage an diesem Punkt der Geschichte: Wo immer dich die Nöte des Lebens hintragen, bleib unter dem Schirm des Herrn! Wenn du dich fragst (oder dich andere fragen), was dir die Treue zu Gott denn bringt in diesem Leben, denke daran, dass dieses Leben ohnehin irgendwann enden wird und sich alles Irdische, das du erwirbst in Luft auflösen wird. Du hast einen ewigen Schatz im Himmel – gib ihn niemals auf! Gib das dir von Christus erworbene Land niemals auf.

Das Schicksal Elimelechs ist aber auch ein Weckruf an die Gemeinde: Der Schirm unseres Herrn ist groß genug für alle, aber nicht alle sind stark genug, sich darunter festhalten zu können. Haltet auch einander fest! Allein dafür hat Gott die Gemeinde geschaffen.

Dass der Schirm groß genug ist, erfahren wir, als Naemi beschließt, unter diesen Schirm zurückzukehren. Doch Naemi ändert ihren Namen in Mara, denn ihr Schicksal – sie hat mit dem Tod von Mann und Söhnen alles verloren – hat sie verbittert, sie glaubt, dass Gott gegen sie ist. Der weitere Verlauf zeigt, dass sie in dieser Annahme irrt, das Gegenteil ist richtig: Gott führt sie in sein Land zurück und versorgt sie. Was also Naemi verbittert hat ist nicht der ausgestreckte Arm Gottes gegen sie, sondern das verlorene Vertrauen in den starken Arm Gottes. Auch hier ist natürlich zunächst wieder jeder einzelne aufgefordert, beständig Kontakt zu diesem Gott zu halten und seine Nähe zu suchen. Denn dieser Gott will dir nahe sein und kämpft um deine Nähe, aber er drängt sich nunmal nicht auf. Aber es ist auch wieder eine Aufforderung an die Gemeinde: In dieser Welt seid ihr die Repräsentanten des starken Armes Gottes – vergesst das nie.

Ruth ist Moabiterin. Sie ist somit ein Kind Gottes – alle Menschen sind Kinder Gottes – aber sie ist aufgrund ihrer Herkunft fern von Gott. Das gilt zunächst einmal für alle Christen, denn das von Gott erwählte Volk sind die Israeliten. Ruth hat von Naemi von diesem Gott erfahren und die Liebe zu ihrer Schwiegermutter erweckt in ihr auch die Liebe zu deren Gott. Das ist der Weg, wie im Geist wiedergeborene Christen zu Gott kommen. Jesus liebte Gott und seine Jünger und die Jünger gaben diese Liebe an die ersten Gemeinden weiter. Wir lieben Gott, weil wir über die Liebe anderer Menschen von der Liebe Gottes zu uns erfahren haben. Wie Ruth halten wir uns an Jesus fest und der ist bei Gott, denn er ist Gott. Also sind wir bei Gott, solange wir uns festhalten. Also sind unsere Brüder und Schwestern in der Gemeinde bei Gott, solange wir sie in dieser Liebe festhalten. Gott wird greifbar durch uns. Wir sehen auch, Naemi ist auch als Mara immer noch Halt für andere, auch wenn sie den Halt verloren glaubt. Und darin erkennen wir auch ihren Irrtum: Naemi wird immer noch von Gott gehalten; sie könnte sonst für Ruth kein Halt sein.

Boas repräsentiert den Hausherrn im gelobten Land, denn er hat das Leben (hier in Form von den Früchten des Feldes) in Fülle und er teilt es mit der Fremden. Dabei geht er weit über das vom Gesetz Gebotene hinaus. Er nimmt sie freundlich auf, stellt sie sogar unter seinen persönlichen Schutz, gibt ihr mehr als ihr zusteht und nimmt sie zuletzt sogar zur Frau, rettet ihr also nach damaligem Gesetz über ihre Nachkommen das Land, das sie durch den Tod ihres Mannes ehe ein männlicher Nachkomme gezeugt wurde, verloren hatte. Boas ist, so der juristische Ausdruck, der Löser (Erlöser) Ruths und damit auch Naemis. Lange vor der Geburt Jesu erzählt uns Samuel hier vom Auftrag des Christus und von seiner Liebe zu seiner Kirche, die von den Aposteln ja auch seine Braut genannt werden wird.

Indem Samuel den Stammbaum seines Schützlings Davids komplettiert und in der Bibel verewigt, legt er zugleich den Grundstein für den irdischen Stammbaum des Messias – nachvollziehbar für alle Israeliten, die bereit sind zu glauben und gibt dabei auch gleich noch ein Geheimnis über diesen Messias preis: Er selbst wird sich an das gegebene Gesetz halten (Boas fragt zunächst einen näheren Verwandten Naemis, ob der Ruth lösen möchte, denn er hätte die älteren Rechte) und geht gleichzeitig in seiner Gnade weit über das Gesetz hinaus.

Und über die Beziehung Ruths zu Naemi lässt Gott Samuel die Beziehung definieren, die seine Kinder zu seinem Volk haben sollen. Wir hängen nicht nur an Boas, wir hängen auch an Naemi; ohne Naemi – egal wie verbittert und im Glauben erschüttert sie sein mag – wären wir nie ins gelobte Land, also ins Reich Gottes gekommen.

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