Die nächste schwierige Etappe liegt nun vor Jakob: Er wird seinem Bruder Esau begegnen, den er seinerzeit übers Ohr gehauen hat und er erinnert sich noch, dass der vor 20 Jahren dafür Rache schwor.
Darum schickt Jakob ein paar seiner Knechte voraus, die schon mal vorab gut-Wetter machen sollen, doch die berichten bei ihrer Rückkehr, dass Esau seinem Bruder bereits – begleitet von 400 Mann – entgegen reitet. Ob es nun am schlechten Gewissen oder an den 400 Mann liegt, Jakob hat jedenfalls die Hosen gestrichen voll. Und jetzt in höchster Not bettelt er seinen Gott um Hilfe an, doch weil er sich nicht darauf verlässt, teilt er anschließend seinen Trek in zwei Gruppen auf, damit – im Fall der Fälle – auf diese Weise nur die Hälfte seines Besitzes und seiner Familie vom Heer des Bruders niedergemetzelt würde. Außerdem schickt er seine Knechte noch einmal los, dieses Mal mit reichen Gaben, dem Bruder als Wiedergutmachungsgeschenk und Zeichen der ehrlichen Unterwerfung.
Ehe es in Kapitel 33 dann zur Begegnung mit Esau kommt, lesen wir am Ende von Kapitel 32 von dem Kampf Jakobs mit einem Fremden am Fluss Jabbok, der die ganze Nacht bis zum Morgenrot andauert. Jakob schlägt sich gut und ist am Gewinnen, nur mit einem Trick – der Fremde verletzt Jakob schwer an der Hüfte – geht der Kampf zugunsten des Fremden aus. Doch Jakob will ihn nicht gehen lassen, bis dieser ihn segnet. Zum Segen gibt der Fremde Jakob noch den Namen Israel – Gottesstreiter – denn er habe mit Gott gekämpft.
Als Jakob dann schließlich – humpelnd und mit weichen Knien – tatsächlich seinem Bruder begegnet, stellt sich heraus, dass die ganze Sorge unbegründet war. Esau hat es auch ohne den väterlichen Segen zu Wohlstand gebracht und freut sich riesig über die Heimkehr des Bruders.
Anders als Esau es annimmt, zieht Jakob aber nicht nach Seïr zu seinem Bruder, sondern lässt sich in der Nähe nieder und gründet eine neue Siedlung, der er den Namen Sukkot gibt.
So sieht das aus, wenn dich deine Fehler wieder einholen!
Jakob war von Labans Land geflohen, weil der Neid gegen ihn begann gefährlich zu werden. Und an der Entstehung dieses Neides hatte er selbst eifrig mitgebaut. Doch die Heimkehr war auch problematisch, denn er hatte ja vor 20 Jahren vor seinem wütenden Bruder fliehen müssen. Es zog ihn zwar heim, und da mag auch der Geist Gottes gut auf ihn eingewirkt haben, aber war das denn noch sein Zuhause nach 20 Jahren? War er aufgrund seines Verhaltens in der Jugend dem Land – und vor allem dem Bruder – nicht feind geworden?
Im Grunde ist das ein Bild für unser Verhältnis zu Gott. Wir haben uns Kompetenzen ermächtigt, die uns von Gott unabhängig machen sollten; auch wenn die Bibel von der Vertreibung aus dem Paradies spricht, so war es doch eher eine Flucht der Menschen vor der begangenen Schuld. Wir haben Gott durch unsere Eigenmächtigkeit betrogen und nun fürchten wir uns, wenn es die Situation notwendig macht, dass wir uns ihm wieder nähern. Ohne Christus als Mittler haben wir keinen Kontakt, haben wir niemanden, der uns beruhigt und sagt: „Fürchtet euch nicht! Ich habe die Wogen geglättet!“
Dabei wäre Gott durchaus bereit zu verzeihen und uns in die Arme zu nehmen, das ganze Alte Testament ist voll von – letzten Endes gescheiterten – Friedensangeboten dieses Gottes. Das Volk Gottes ist beredtes Bild davon, wie wir uns immer bestenfalls in der Nähe des verheißenen Landes niederlassen, wie wir in Kirchenorganisation, spirituellen Gruppen und allerlei Selbstfindungstherapien unser eigenes Sukkot errichten.
Und Gott kämpft mit uns und um uns, wie in dieser Geschichte am Fluss Jabbok. Oftmals werden wir viel Kraft in eine weitere Flucht oder einen Trick stecken, so wie Jakob sein Lager in zwei Gruppen teilte oder großzügige Opfergaben voraussandte. Das Problem dabei: Diese Maßnahmen sind zwecklos, denn Gott bleibt an uns dran. Und irgendwann stehen dann auch wir am Jabbok und da steht dieser Fremde und lässt uns nicht vorbei und wir müssen uns dem Kampf stellen.
Und was wir hier sehen ist, dass keiner aus diesem Kampf „unbeschadet“ herauskommt. Wir lesen von einer verletzten Hüfte. Jakob humpelt vermutlich und geht gebeugt; er hat in diesem Kampf Demut gelernt. Und – und wenn auch nur für einen kurzen Moment – er hat gelernt, sich auf seinen Gott zu stützen und darauf zu verlassen, dass der ihn hält. Ist diese Lehre nachhaltig? Wir werden sehen.
Sicher ist aber: Wenn Gott uns berührt, verändert uns das spürbar. Das muss nicht immer schmerzhaft sein, wie in dieser Geschichte, aber es ist immer deutlich und einschneidend. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn wir inzwischen natürlich diesen wunderbaren Mittler haben.