Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet. (Micha 6,8a)

Den fast wortgleichen Beitrag findet ihr auch auf der Homepage meiner Kirchengemeinde.

Lieber himmlischer Vater – nein, das wäre für den Anlass zu schwach!

Lieber Papa!

Ich soll und möchte hier über das Klosterwochenende in Bad Wimpfen schreiben, aber egal, wie ich es anfange, ich schreibe am Ende immer über mich. Also soll es wohl so sein.

Knapp 30 Personen trafen sich vom 29. November bis zum 1. Dezember im Kloster in Bad Wimpfen, um am wieder einmal liebevoll von Ute und Arnd Schillinger vorbereiteten Wochenende, dieses Mal zum Thema „Drei Propheten“, teilzunehmen. Unser Referent, Jörg Sieger, hatte sich für diese drei Tage Amos, Jeremia und Micha ausgesucht.

Bei der Vorstellungsrunde, als wir uns zu unseren Erwartungen an dieses Wochenende äußern durften, meinte ich flapsig, du würdest mir schon zeigen, was ich hier von dir zu erwarten hätte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ja keine Ahnung, was du mit mir vorhattest!

Das begann dann nicht einmal fünf Minuten später, als Jörg anfing zu erzählen.

Auf dieser Seite hier schreibe ich seit über sechs Jahren was – wie ich fest glaube – du in mir bewegst, wie du mich mit deinen Augen sehen lässt. Es sind vielleicht eine Handvoll Themen darunter, die mich sehr berühren und die deswegen immer wieder in leicht anderer Gestalt auftauchen. Natürlich bin ich mir bei allem, was ich schreibe, bewusst, dass ich zuallererst mit meinen Augen sehe, die Grenzen zwischen „meiner Sicht“ und „deiner Sicht“ sehr fließend sind. Und so bremsen mich natürlich auch immer wieder Zweifel, ob ich das eine oder andere wirklich schreiben sollte, denn ich habe die Seite deinem Namen gewidmet, sie ist also genaugenommen nicht meine.

Und Jörg beginnt mit einem Thema, bei dem ich oft und schnell rasend werde, die Art wie wir Menschen mit den Schwachen umgehen und die Art, wie du dir vorstellst, dass es sein sollte. Zwei völlig unvereinbare Visionen von menschlicher Gemeinschaft. Mein Puls geht auf 180. Jörg formuliert noch schärfer, als ich mich das je getraut hätte, und mir ist in dem Moment klar, das wird ein heißes Wochenende.

Ich höre dich im Geiste liebevoll sagen: „Warum hast du Zweifel, Kind? Das ist der Weg, auf den ich dich gestellt habe. Geh ihn weiter!“

Bis Sonntag wirst du mich in jedem weiteren Thema persönlich ansprechen.

Gottes Vision von Kirche, Gottes Vision von Priesterschaft, Gottes Vision von Gerechtigkeit, Gottes Vision von Gottesdienst – Punkt für Punkt arbeitet Jörg Sieger, der mich bis zu diesem Wochenende sicherlich nicht kannte, „meine“ Themen ab und bestätigt sie, geht eher noch über meine Schlussfolgerungen aus deinem Wort hinaus. Und immer wieder höre ich dich im Geiste sagen: „Das ist der Weg, auf den ich dich gestellt habe, Kind. Geh ihn weiter!“

Die Wucht deiner Gegenwart steigert sich mit jedem weiteren Thema. Am Sonntag während des Gottesdienstes habe ich zu kämpfen. Ich möchte weinend schreien: „Hör auf damit, Gott, ich kann das nicht mehr (er)tragen!“ Und ich spüre doch im Herzen, ich möchte eigentlich, dass es nie mehr aufhört, denn ich habe dich immer wieder um diese Nähe und Deutlichkeit gebeten. Darum kann ich dich nur bitten, gib mir bitte auch die Kraft dazu.

In einem Punkt herrscht schon immer Einheit zwischen uns. Das ist kein persönliches Ding zwischen dir und mir, was da abgeht. Das ist deine Vision, wie die Beziehung zwischen dir und jedem einzelnen aussehen soll. Wir haben gelernt, dass du das Zentrum unseres Lebens sein sollst, aber tatsächlich sind wir, deine Kinder, im Zentrum deines Interesses! Ich bin nur ein beredtes Beispiel.

Und am Sonntag ist Gottesdienst, „Gottes Dienst“ erklärt Jörg, Gottes Dienst, einer meiner, wie ich bisher glaubte, exotischeren Behauptungen. Also auch deine Sichtweise! Und ich sehe die Menschen im Raum, die ich als die Familie empfinde, in die du mich gestellt hast und ich sehe ihre Gesichter und ich sehe dich in jedem. Das, Herr, ist deine Kirche. Und auch sie ist nur ein Beispiel für deine Vision von Kirche für diese Welt.

Und du bist ihnen mit derselben Aufmerksamkeit und Liebe, mit derselben Zärtlichkeit, zugewandt, wie mir. Nicht nur ihnen, hier im Kreis der Gemeinde, das gilt auch für alle da draußen! Was wird mit ihnen geschehen, wenn sie das lesen? Was werden sie empfinden, wenn sie die Schwere in diesen Worten, die Kompromisslosigkeit deiner Zuneigung zu ihnen begreifen? Sie alle, auch jene, die noch gar nicht erkannt haben, dass sie auf der Suche nach dir sind, sie alle sind im Zentrum deines Interesses und du wirst nicht aufhören, wie ein Löwe um sie zu kämpfen, bis du sie alle überzeugt hast, wirst ihnen deine Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit schenken, sobald sie nur Witterung aufgenommen haben.

Wir singen Lobpreislieder und einige geübte Sängerinnen wagen sich spontan an die zweite Stimme. Im Grunde auf dem Blatt zwei verschiedene Melodien bilden einen schönen, harmonischen Klang. Ich erkenne, völlig verschiedene Menschen, mit völlig verschiedenen Ansichten über dich und Zugängen zu dir bilden in deinen Augen ein harmonisches Ganzes – etwas das wir vielleicht nie begreifen können.

Du, Papa, du bist der Gott, der mich sieht, der jeden von uns sieht, egal, über welchen Weg wir zu dir gelangen. Du bist der Gott, der weiter an uns glaubt, auch wenn uns der Glaube mal wieder verloren geht. Du bist der Gott, der auf uns schaut, voll Liebe und Zärtlichkeit. Du bist mein Gott und ich glaube dir, wenn du das sagst.

Dein Georg

 

 

„Da ist jemand, der dein Herz versteht und der mit dir bis ans Ende geht. Wenn du selber nicht mehr an dich glaubst, dann ist da jemand, der dir den Schatten von der Seele nimmt und dich sicher nach Hause bringt. Immer wenn du es am meisten brauchst, dann ist da jemand.“ (Adel Tawil)

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