Heute zog es mich mal wieder auf meine Sommergründe, also in den oberen Wald. Ich hatte unbeschwerte Gedanken über meinen Weg mit dir, Papa, und dass ich am Nachmittag wieder einmal darüber schreiben wollte. Doch ich war noch nicht im Wald angekommen, da wehte der Ostwind bereits Kanonendonner und Gewehrsalven vom Bundeswehr-Übungsgelände auf dem Eichelberg herüber. Jetzt müssen wir also schon im Frühjahr und am Wochenende unsere Verteidigungsbereitschaft in diesem Naturschutz- und Naherholungsgebiet üben und nicht erst zwischen Juli und September. Zuerst ärgerte ich mich über den Lärm, bald aber verdrängt von der Wut über Putin, der dies notwendig macht, und ich rief zu dir: „Gott, lass Putin und alle, die so denken wir er, entweder die Einsicht oder der Schlag treffen, damit wieder Ruhe ist und wir uns wieder um die Ungerechtigkeiten in dieser Welt kümmern können und nicht mehr um deren übergroßes Ego!“
Du hast mir noch auf dem Weg geantwortet, als du mir zu verstehen gabst: Menschenkind, was ärgerst du dich über diese Leute? Sie sind unbedeutend! Ich habe sie schon verworfen, ehe sie im Mutterleib gezeugt wurden. Für dich sind sie im Moment wie Hundekot, der vor dir auf dem Weg liegt und auf den du angemessen reagieren musst. Wenn du ihn rechtzeitig siehst, wirst du ihm ausweichen oder ihn sogar aus dem Weg schaffen. Aber meistens trittst du rein, wie neulich auf den Stein, der im Weg lag und dich zu Fall brachte. Und dann ärgerst du dich. Aber ich sage dir: Objektiv betrachtet sind diese unbedeutenden Menschen im Vergleich zur Vollendung meiner Kinder in meinem Reich wie ein Fliegenschiss an der Wand. Ich sehe ihn und ich werde ihn entfernt haben, wenn wir uns sehen in meinem Reich.
Aber sage mir: Was habt ihr denn getan gegen diese Ungerechtigkeiten auf der Welt in den ungefähr zehn bis fünfzehn Jahren Ruhe, die ich euch ab 1990 gab? Und wie sah eure angemessene Reaktion denn aus, als dieser Hundehaufen vor über 10 Jahren sichtbar vor euch auf dem Weg auftauchte? Ich habe euch Augen gegeben, dass ihr sehen könnt. Ich habe euch Ohren gegeben, dass ihr hören könnt. Ich habe euch meinen Geist gegeben, damit ihr erkennt und versteht. Nutzt die Gaben, die ihr bekommen habt und achtet auf euren Weg und achtet auf eure Schritte!
Aber auch unser gemeinsamer Weg war Thema. Ja, du hast mich gerufen, schon, als ich ein Kind war. Doch ich habe dich nicht gehört. Zu laut war mein Ego, das mir unaufhörlich zurief, was ich in diesem Leben alles erreichen wollen sollte und ich hörte diese Stimme und ich hörte auf diese Stimme und ich hörte dich nicht. Nicht als ich ein Kind war, nicht als ich ein junger Erwachsener war und auch später nicht. Ein Ziel nach dem anderen musste ich verfehlen und das Tal, durch das ich ging, wurde immer länger und immer finsterer. Und in mir wurde es immer stiller, bis nichts mehr von diesem alten Ego übrigblieb. Dann konnte ich dich hören und nun folge ich dir. Sind meine Probleme seither verschwunden? Natürlich nicht, aber wenn du deinen Gott „Papa“ nennst und er spürbar die ganze Zeit an deiner Seite ist, dann fühlen sie sich anders an. Glaubst du ihm, glaubst du auch, dass du es schaffen kannst. Und ich glaube dir, Papa.
Dieser Tage stehe ich förmlich unter Strom. Es fühlt sich an, als ob du die ganze Zeit klatschend, jubelnd und singend neben mir herläufst und diese Stimmung steckt an – deine gute Stimmung steckt an. Ich möchte auch jubeln und die Pflichten gehen leicht von der Hand.
Die Karwoche liegt vor uns und du bist gut gelaunt an meiner Seite. Entweder du nimmst es nicht so genau mit unseren Ritualen oder du bist fröhlich, weil wir ja in Wirklichkeit deinen Triumph feiern, der durch die kurze, aber sehr tiefe Finsternis davor nur noch größer wirkt, wenn es hierbei denn überhaupt größer geht.
Ja, ich stehe unter Strom, weil du mich jeden Tag neu auflädst und ich danke dir dafür. Diese Zeiten größter Nähe zu dir, für die ich nichts tue, weil ich ja auch nichts dafür tun kann, sind Licht, sind Nahrung. Natürlich dauern diese Zeiten immer nur eine Weile, dauernd würde der menschliche Körper das auch gar nicht aushalten. Aber sie tragen durch die schweren, dunkleren Zeiten, wenn ich von der Erinnerung dieser Nähe, diesem gemeinsamen Feiern, lebe. Und ich weiß, es werden Zeiten kommen, in denen das Tal auf dieser Welt nicht mehr enden und immer dunkler wird, weil die Lichter meines Lebens langsam verlöschen werden. Ich will diese lichten Zeiten mit dir jetzt darum aufsaugen und will mich erinnern, dass du auch nah bist, wenn es dunkel wird. Und dann findet sich zum Schluss doch noch einer: ein zur Karwoche passender Gedanke.