„Wenn du alt geworden bist, wird dich ein anderer führen, wohin du nicht gehen willst…“

Genau heißt es im Johannesevangelium, Kapitel 21, Vers 18:

„Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selbst gegürtet und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.“ (Joh 21, 18)

Als ich gestern (17.5.25) nach längerer, erkältungsbedingter Pause mal wieder meinen gewohnten Samstagsspaziergang machte, da gab mir der Geist auf dem Weg nach oben diesen Satz ein, der mich den Rest des Weges beschäftigte. Es ist ein Gedanke, den ich nicht persönlich auf Petrus beziehe, sondern auf mich und auf (fast) jeden anderen Schüler Christi. Petrus wurde von einem römischen Soldaten „gegürtet“ und vom Kaiser zum Tod verurteilt. Bei uns „normalen Menschen“ wird ganz schlicht das Alter die Rolle von Soldat und Kaiser übernehmen. Es kommt für viele irgendwann ein Punkt im Leben, wo man nicht mehr selbst über den weiteren Weg entscheiden kann, weil Körper und Verstand das einfach nicht mehr zulassen.

Und Jesus fügt an die Warnung diese Aufforderung an: „Folge mir nach!“ (Joh 21, 19)

Es ist das Einzige, was wir überhaupt tun können – „denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15, 5) – und es ist das Einzige, was uns dann an diesem Punkt des Lebens noch bleibt. Der Gedanke macht demütig und doch ist er auch voller Trost, denn der Herr ist auch dann bei uns, wenn wir nicht mehr selber entscheiden können.

Um so wichtiger, dass wir in der Zeit, in der wir noch entscheiden können, diese Nachfolge mit Herz und Tat auch tun, für uns selbst, aber eben auch für all jene, die es nicht können oder nicht mehr können.

„Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40)

Gott schenkt mir diesen Satz und diesen Gedanken am Tag vor der Amtseinführung des Papstes, in dessen Einführungsgottesdienst das Evangelium genau diesen Satz im Zentrum hat. Wie groß bist du, Gott, dass du dies immer wieder für mich tust. Dass du mir Gedanken schickst, die mir in unmittelbarer Zukunft wieder begegnen werden. Du bist ein Gott jenseits aller Zeit, darum bist du immer da, bei uns, gestern, heute und in Ewigkeit. Dieses „Dasein“, das mich bei der Vorstellung des neuen Papstes Leo XiV. bewegte, war ebenfalls Thema, und zwar in der Predigt des Papstes.

Die Kirche ist in ihrer ganzen Vielfalt und Verschiedenheit Eins in ihrem Herrn; da ist ein Geist in dem einem Körper, aus den vielen Gliedern, nämlich den Schülern Christi, mit seinem Haupt, dem Christus. Das ist es, was ich in diesem „vorausschauenden“ Gedanken erkenne.

Und Gott hat mir heute noch mehr gezeigt.

Vor einigen Tagen stellte ich fest, dass ich diese von Gott geschenkten Gedanken vermisste und ich bat ihn, wieder auf die alte, liebgewonnene Weise mit mir zu reden. Das fehlte mir wirklich, ich brauche diese Nähe und die andauernde Erkältung hatte mich einfach zu stumpf und erschöpft dafür gemacht. Wie sehr hatte ich mich gefreut, als es gleich beim ersten Spaziergang wieder klappte!

Und heute beim Verarbeiten, beim Staunen und Zittern über sein Wirken, als ich erkannte: Du, Papa, hast es wieder einmal getan. Du hast mir einen Gedanken gegeben, der die Zeit überwindet, um mir zu zeigen, dass du der Herr über die Zeit und die Ewigkeit bist. In dieser Erfahrung wird mir bewusst, dass Gott die ganze Zeit mit mir geredet hatte.

Ich erzähle jetzt von einer Klasse in meiner Schule, die mir aufgrund ihres Respektes, ihres Fleißes und ihrer Freundlichkeit sehr ans Herz gewachsen ist. Diese Klasse hat im Moment wachsende Probleme im zwischenmenschlichen Bereich. Es ist der übliche Wettstreit um die Anerkennung durch Mitschüler, in der zunehmend unlautere Mittel, wie beispielsweise Gerüchte und Behauptungen über empfundene Konkurrenten eine Rolle spielen. Diese immer dominanter werdende Herausforderung der bisher vorbildlichen Gemeinschaft tut mir persönlich weh.

Es lag mir in der letzten Stunde schon der Rat im Mund: „Glaubt niemals das, was euch jemand über einen anderen erzählt!“

Doch es steckt noch mehr hinter dieser Erkenntnis, eine Lehre, die Jesus den Anwesenden aus gegebenem Anlass mit auf den Weg gab:

„Und er rief die Leute zu sich und sagte: Hört und begreift: Nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ (Mt 15,12)

Jesus hat es hier auf den ersten Blick von den strengen Speisegesetzen des Judentums, aber tatsächlich fordert er uns auf, darüber nachzudenken, was wir sagen und warum wir es sagen, bevor wir es sagen. Es ist genau das Problem, das in der genannten Klasse die Gemeinschaft gefährdet und es macht wieder einmal deutlich: Gott gibt uns keine Gesetze, um unsere Treue zu ihm auf die Probe zu stellen, Gott gibt uns Regeln und Ratschläge, weil er weiß, dass es nur so funktionieren wird.

Und diese Regel lautet: Rede nichts über Dritte, wenn du nichts Gutes über sie zu reden hast!

Und für alle, die trotzdem zuhören: Halte solche Dinge für Lügen, solange sie nicht von dem Beschuldigten selbst bestätigt wurden.

Im Grunde wäre die richtige Reaktion auf jedes solches Geschwätz, dem Redner zu sagen (ganz besonders, wenn dieser mir das „im Vertrauen“ sagt): Das ist eine schlimme Behauptung, was du da sagst. Ich werde bei demjenigen nachfragen, den du hier belastet hast, ob das so stimmt.“ Üble Nachrede beim damit Belasteten zu überprüfen, hat nichts mit Petzen zu tun, sondern mit Wahrhaftigkeit.

Wenn das alle so halten würden, würden die Schwätzer schnell verstummen, denn diese Taktik würde nicht mehr funktionieren.

Ich überlege ernsthaft, ob ich der Klasse bei nächster Gelegenheit genau diese beiden Regeln als Rat geben werde.

Andererseits reicht diese Erkenntnis weit über diese Klasse hinaus, sie ist auch ein ernsthaftes Problem derer, welche sich „Kirche“ nennen. Wir reden in vielen Punkten zu viel übereinander und zu wenig miteinander.

Und auch das, die Gemeinschaft und was sie stärkt und was sie gefährdet, ist wohl ein zentrales Thema unseres Papstes, einem Augustiner.

Wir sind gemeinsam auf dem Weg. In allem, was wir denken und sagen, muss dieser Gedanke die Triebfeder sein. Ein Urteil darüber, wer im Zentrum des Weges, an dessen Rand oder außerhalb unterwegs ist oder gar was alles ins Zentrum des Weges gehört und wo der Rand des Weges verläuft, ist nicht Teil unseres Auftrages und gehört nicht zu der uns von Gott zugeteilten Kompetenz. Auf eine solche Einteilung unserer Umwelt zu verzichten, widerspricht aber zugegebenermaßen dem Wesen des Menschen, der nur schwer mit unklaren Situationen, die sich seiner Kontrolle entziehen, umgehen kann. Aber genau diese Herausforderung anzunehmen, steckt hinter dem Auftrag „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ (Mt 22, 39)

„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.“ (1. Kor 13, 4-6)

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