Bei der Betrachtung von Paulus‘ erstem Brief an die Thessalonicher durften wir erkennen, dass das Evangelium Christi Gottes Antwort auf die Frage ist, die Menschen seit Menschengedenken beschäftigt: Was ist der Sinn?
Aus dieser Frage, die Gott – so Paulus im Römerbrief – in die Herzen aller Menschen gelegt hat, als er ihnen ein Gewissen und einen Sinn für Gerechtigkeit gab, ergeben sich weitere Fragen wie z.B. „Woher komme ich?“ – Die Frage nach der höheren Macht, oder „Wer bin ich?“ Fragen, zu denen Naturwissenschaften keine befriedigenden Antworten geben können, weil diese immer auf das Materielle beschränkt sind, das einen Anfang hat und damit folgerichtig immer seinem Ende, seiner Auslöschung zustrebt. Alle naturwissenschaftlichen Antworten beschränken sich immer auf einen endlichen Zeitabschnitt, der zwar größer ist, als dass ein Mensch ihn überblicken könnte, aber trotzdem endlich. Naturwissenschaften können uns keine Antworten dafür geben, was vor dem ersten Anfang, z.B. einem Urknall, war und was nach dem letzten Ende, z.B. nach dem „Big Rip“ sein wird. Das Universum scheint mit dieser Unschärfe an den Rändern der Existenz klarzukommen, Menschen oft nicht.
Schon früh dachten Menschen also darüber nach, was danach kommt, wer man sein musste und was man tun musste, damit man dieses „Danach“ erlangen konnte. Alle Religionen dieser Welt weisen daher irgendeine Form von Werkegerechtigkeit auf. Du musst in dieser Welt bestimmte Dinge tun, bestimmte Dinge erwerben oder erkämpfen, die dir einen Platz im „Danach“ sichern. Logischerweise sind dies immer Dinge, die auch tatsächlich in dieser Welt erworben (erarbeitet, gekauft, gestohlen, erkämpft …) werden können. Tatsächlich ist der Buddhismus wohl die einzige immaterielle Religion, deren Ziel es ist, alles Materielle aufzugeben. Der Buddhismus ist damit dem christlichen Glauben am nächsten stehend. Überhaupt kein Gott verhindert auch gleichzeitig, dass sich die Menschen ein Gottesbild machen. Gar kein Gott ist Menschen aber dann offensichtlich doch zu wenig; im spirituellen Bewusstsein der Buddhisten ist ihr Lehrer, der große Buddha, inzwischen quasi zu einem Gott aufgestiegen, der verehrt und angebetet wird. Gefährlich, denn im Widerspruch zur reinen buddhistischen Lehre genau dieses Lehrers.
Die Religion der Israeliten ist zwar der Ursprung christlichen Glaubens – ohne Juden kein Christus – die beiden Arten der Gottesbeziehung unterscheiden sich aber grundliegend. Zwar geht es beim Judentum nicht mehr darum, Dinge in dieser Welt zu erwerben, Land für diesen Gott zu erkämpfen (das Land wurde ihnen in genau definierten Grenzen von ihrem Gott im Vorfeld geschenkt) oder Menschen zu unterwerfen und so zu bekehren, aber die Werkegerechtigkeit – Sühne- und andere Opfer, Feste – ist aber integraler Bestandteil dieser Religion. Auch Christen opfern und feiern, aber aus eigenem Antrieb, unser Lehrer hat uns keinen expliziten Auftrag dazu gegeben. Er lehrt uns, wir sind die Kinder Gottes, das erklärt, wo wir „davor“ waren (nämlich bei Gott) und wo wir „danach“ sein werden (nämlich bei Gott). Er selbst, Christus, ist die Garantie für diese Hoffnung; wir brauchen darum nicht mehr als den Glauben daran. Glaube ist damit nichts, was wir tun oder uns aneignen müssen, um etwas zu beweisen, es ist der Schlüssel, der es uns erst ermöglicht, die Blockaden dieser Welt zu überwinden und uns auf den weiter unten beschriebenen Weg zu machen. Der Glaube ist nicht der erste Schritt, er befähigt uns erst dazu und zu allen weiteren.
Das ist ein fundamentaler Unterschied zu allen Religionen, auch zum Judentum!
Der Glaube an Christus begründet ein ganz neues Menschenbild.
In jeder Religion muss der Mensch durch sein ganzes Leben hindurch beweisen, dass er der Belohnung „danach“ würdig ist. Dies unterwirft ihn bestimmten Pflichten, die nur dafür geschaffen sind, immer und immer wieder diese Würdigkeit zu beweisen oder doch zumindest wiederherzustellen. Dies macht ihn in besonderer Weise abhängig von den Menschen seiner Umwelt. Er muss sich ihnen angleichen, denn Religion ist sowas wie eine Uniform, die jeder trägt, jeder tragen muss. Das heißt, die Welt sagt dir ein Leben lang: Tu dies, erwirb jenes, führe diese Art von Lebensstil. Und in dem Gewimmel von fordernden Stimmen ist es dann irgendwann egal, ob man etwas tut oder erwirbt für das Seelenheil oder weil es alle anderen auch tun oder haben. Menschen versuchen so zu sein, wie sie aufgrund der Einflüsse auf sie denken, dass sie sein sollten. Frei ist man, wenn man alles erreicht hat, es nichts weiter mehr zu erreichen gibt, d.h., objektiv ist niemand frei!
Christus dreht den Spieß um!
Er erklärt uns: Gott liebt uns, seine Liebe ist endlos. Darum will er nicht, dass wir irgendetwas tun oder versuchen zu sein, wie wir uns vorstellen, dass es ihm gefallen könnte. Dieses neue Leben, das er uns schon hier in dieser Welt gibt, das sind wir selbst! Was sonst könnte uns ein Gott geben, der sagt: „Ihr seid meine Kinder und ich liebe euch bedingungslos!“
Der Auftrag, den er uns also mit auf den Weg gibt, lautet daher nicht: Überlegt euch, was ihr gerne haben wollt und dann verzichtet darauf, weil ihr wisst, dass das Sünde ist.
Er sagt: Seht, ihr seid nach meinem Bild und Wesen gemacht. Das, was ihr sein werdet, das, wozu ihr bestimmt seid, habe ich bereits in euch angelegt. Macht euch auf den Weg, entdeckt euch selbst. Dann werdet ihr frei sein.
Klingt zu schön, um wahr zu sein?
Überlegen wir noch mal: Wir sind nach Bild und Wesen Gottes geschaffen, das heißt doch, wenn wir Gott suchen, finden wir uns am Ende selbst. Und wenn wir finden, wer wir sind, wenn wir unser wahres Selbst finden, dann haben wir auch Gott gefunden. Das lässt natürlich schon vermuten, dass es nicht immer ganz einfach sein wird, denn diese Suche führt zwar zu der einen Wahrheit, über die die Bibel erzählt, ist aber recht individuell, da jeder Mensch anders ist.
Damit ist aber auch klar, sobald ich mich auf den Weg mache, auf den Weg zu Gott und damit zu mir selbst, werden die vielen Stimmen in der Welt, die mir sagen, was ich tun und wie ich sein soll, ihren Einfluss auf mich mehr und mehr verlieren.
Die Suche nach diesem Gott, den wir Papa nennen dürfen, führt zur Befreiung zum eigenen Selbst.