Widerspricht Freude am Leben der christlichen Lehre?

Paulus sagt es frei heraus:

„Aber was mir Gewinn war, das habe ich um des Christus willen für Schaden geachtet; ja, wahrlich, ich achte alles für Schaden gegenüber der alles übertreffenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe; und ich achte es für Dreck, damit ich Christus gewinne“ (Phil 3, 7-8)

In seinen Augen ist alles, was diese Welt und dieses Leben zu bieten hat, Dreck, völlig wertloser Mist, nur noch Wert aus tiefstem Herzen verachtet zu werden.

Manche Christen haben in der Vergangenheit aus diesem Ausbruch tiefster Abscheu vor allem Weltlichen eine Tugend gemacht und kehrten der Welt und ihrem Treiben den Rücken. Aber wenn Paulus damit recht hätte, wie konnte ich dann in den drei Gleichnissen zu dem Schluss kommen, dass in allem in dieser Welt und in diesem Leben das Reich Gottes zu finden und anzunehmen sei?

Natürlich, man kann es sich so hinbiegen, dass Paulus eben meinte, ich soll nicht mein Herz an weltliche Dinge hängen und mich mehr aufs Himmlische konzentrieren, wie es ja auch Jesus sagt, wenn er uns davor warnt, Schätze in dieser Welt zu sammeln, wo sie Motten und Rost zerfressen (Mt 6,19). Aber Paulus geht hier deutlich darüber hinaus. Er fordert mich auf, die Welt (nicht den Nächsten!) zu verachten, um den Himmel zu gewinnen. Wie kann das sein? Warum soll ich das Geschenk, das Gott mir in der Schöpfung gab als wertlosen Dreck ansehen? Warum soll es mir also egal sein, was daraus wird? Meine Nächsten, das sind doch auch die Menschen der nächsten Generationen! Das liegt natürlich darin begründet, das Paulus – wie vermutlich alle seiner Apostel-Kollegen – den Anbruch des Weltengerichtes auf ca. Dienstag in drei Wochen terminierte. Er lag damit voll im Trend, denn Jesus hatte ja angekündigt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er wiederkommt, um Gericht zu halten.

Wie konnte sich Jesus nur so irren und seine Jünger damit in die Irre führen? Oder erkennt man nicht schon daran, dass bis heute, über 2000 Jahre später, immer noch kein Gericht angebrochen ist, dass das ganze Evangelium nur eine fromme Geschichte ist?

Also alles nur ein Irrtum?

Es kommt darauf an, was man unter bald versteht. Ich kann hier nicht sagen, was ein Gott, also Jesus meint, wenn er seinen Jüngern verspricht, dass man sich bald im Himmel wiedersieht. Ich kann mir aber denken, was sich ein durchschnittlicher Petrus darunter vorgestellt hat und diese Vorstellung war nicht unbegründet.

Am Ende kommt es in der Vorstellung des Menschen doch auf den zugrunde gelegten Zeitrahmen an. Ein Menschenleben dauerte zu jener Zeit etwa 60 Jahre; das war die Zeitspanne einer Generation. Selbst wenn man großzügigerweise das ganze Menschengeschlecht als Generation betrachtet, wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Zu Zeiten des Paulus schrieb man in Israel etwa das Jahr 3750. Das war nicht irgendeine willkürlich oder auf einen König bezogene Jahreszahl, man ging – entsprechend der Bibel davon aus – dass die Schöpfung und damit die Zeitrechnung im Jahr 1 ihren Anfang nahm. Die Schöpfung war also nach der damals gültigen Auffassung etwa 3700 Jahre alt. Bezogen auf die ganze Schöpfung wären also so 40 – 70 Jahre eine relativ kurze Zeitspanne (über 1000 Jahre aber eine unfassbar lange!), dem Begriff „bald“ in jeder Hinsicht angemessen. Und etwa 70 nach Christus wurde Israel, insbesondere Jerusalem ja tatsächlich von den Römern komplett zerstört. Nur das große Gericht blieb da halt aus.

Wir haben heute allerdings eine andere Zeitspanne zu überblicken. Nach den aktuell gültigen Theorien fand der Urknall (als der Punkt als Raum und Zeit begannen) vor ca. 15 Milliarden Jahren statt. Nehmen wir für den Begriff „bald“ wieder dieselben Verhältnisse, so kommen wir auf grob 2 Milliarden Jahre! Und wir wissen heute, dass unsere Sonne in ca. 1 Mrd. Jahre wegen des knapper werdenden Wasserstoffs etwa 10 % heller scheinen wird als heute. Gegen die Temperaturen, die dann auf der Erde herrschen werden, ist der heutige durch den Treibhauseffekt verursachte Klimawandel ein Witz. Ohne erheblichen technischen Fortschritt wird Leben auf der Erdoberfläche nicht mehr möglich sein. Das hätte dann schon viel mehr von einem globalen Weltengericht als die Zerstörung einer Stadt und das Ende einer einzelnen Nation.

Andererseits: Bis dahin sind es noch eine Milliarde Jahre!

Natürlich kann uns Gott das Licht schon morgen ausknipsen, wenn er das für notwendig hält – doch das ist seine Entscheidung, nicht unsere!

Wenn ich, wie Paulus, aufgrund allen menschlichen Wissens annehmen muss, dass die Welt noch während meiner Lebzeiten endet, werde ich vielleicht – anders als Martin Luther das einst postulierte – kein Apfelbäumchen mehr pflanzen, sondern mich im Herzen auf die Abreise vorbereiten. Und das ist es, was Paulus hier sagt: Das Ende der Zeit kommt bald, haltet euch hier an nichts mehr fest, damit ihr jederzeit aufbrechen könnt. Diese Welt endet!

Aufgrund meines aktuellen Wissens erkenne ich aber, dass „bald“ in den letzten Jahrhunderten eine sehr variable Zeitspanne wurde. Für mich heißt das: Ja, ich sollte mich hier an nichts festklammern und jederzeit zum Aufbruch bereit sein. Aber nein, diese Welt ist nicht Dreck! Sie soll mir und allen die mit mir und nach mir leben (und das könnten sehr, sehr viele sein) noch immer als vorbereitender Lehrpfad fürs Reich Gottes dienen. Mein Leben und diese Welt sind Geschenke Gottes, die es zu achten, zu erhalten, aber auch zu genießen gilt. Ich kann aus dieser Welt schon viel über das kommende Reich erfahren und erkennen, wenn ich das annehme, was mir Gott durch diese Welt geben möchte. Und je besser ich sie erhalte, desto besser ist dies auch den Menschen nach mir möglich.

Paulus und die Apostel hatten dieses Wissen nicht und verkündeten gemäß ihrer Erkenntnis und Erfahrung. Gott gab mir ein anderes Wissen und ich nehme es dankbar an, indem ich euch von den Erkenntnissen erzähle, die sich mir daraus eröffnen. Annehmen, was Gott dir gibt, das „sehen und annehmen“ seines Reiches in dieser Welt und in diesem Leben.