Matthäus 2, 13 – 23 (4. Januar)

Von einem ganzen Bündel an Prophezeiungen über den Messias handelt der heutige Abschnitt.

Zunächst wird Joseph im Traum aufgefordert nach Ägypten zu fliehen, weil Herodes dem Kind nach dem Leben trachtet. Das sind gleich zwei Prophezeiungen: Zum einen hat Herodes in jenen Tagen alle potentiellen „Königskinder“, also alle Säuglinge und Kleinkinder ermorden lassen, die im von den Weisen genannten Zeitraum und Gebiet geboren wurden. Diese Prophezeiung findet man in Jeremia 31, 15. Matthäus schweigt sich über die Zahl der Morde aus, doch Historiker würden heute bestätigen, dass Herodes zu solch einer Tat durchaus imstande gewesen wäre. Es wird oft angemerkt, dass eine solche Tat doch wohl irgendjemand aufgefallen wäre und es auch außerhalb der Bibel Berichte darüber geben müsste. Bei einem Massenmord wäre das wahrscheinlich, aber wenn es sich um einen relativ engen Zeitraum und das kleine Gebiet rund um Bethlehem gehandelt hätte, wären diese schändliche Tat vielleicht tatsächlich unentdeckt geblieben. Die zweite Prophezeiung stammt von Hosea – Hos 11, 1 – und besagt, dass der Messias aus Ägypten kommen würde. Um aus Ägypten kommen zu können, musste das Kind aber erst einmal eine Zeit lang dort gelebt haben.

Doch bei der Rückkehr nach dem Tod Herodes des Großen herrscht Archelaus, einer der überlebenden Söhne des Herodes in Judäa und so schickt der Engel des Herrn Joseph mit seiner Familie nach Galiläa, genauer in das damals kleine Nest Nazareth; das ist in jener Zeit  ein Gebiet, in dem Juden nur eine kleine Gruppe innerhalb verschiedener heidnischer Kulturen bilden. Und wieder erfüllt sich eine Prophezeiung: Der Messias wird Nazarener genannt werden.

Später werden die Juden über Jesus sagen: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ (Joh 1, 40). Wieder läuft es nicht rund bei diesem Messias. Er muss aus dem eigenen Land fliehen, ist die ersten Jahre Flüchtling in einem fremden Land und wird sich nach seiner Heimkehr auch im eigenen Land für eine gewisse Zeit wie ein Fremder vorgekommen sein. Die frühen Jahre des Knaben waren von der Erfahrung geprägt, darauf angewiesen zu sein von anderen aufgenommen zu werden. Seine Eltern werden so gut es geht dafür gesorgt haben, dass er sich in jedem neuen Ort einigermaßen zu Hause und geborgen fühlte.

Ein Kind, das in seiner Kindheit keine rechten Wurzeln schlagen kann, wird sein Leben lang nach diesen Wurzeln suchen, aber wird sie vermutlich nicht an einem bestimmten Ort auf dieser Welt suchen, denn es wurde früh ans Umherziehen gewöhnt und wird erkennen, dass Heimat mehr ein emotionaler, seelischer Ort ist, denn ein geographischer.

Vom Säuglingsalter an wird Jesus von seinen Eltern und den äußeren Umständen auf seine spätere Aufgabe vorbereitet – ohne, dass Eltern oder äußere Umstände nun in spezieller Weise pädagogisch oder anders aktiv würden. Es ist einfach das Leben, wie es nun einmal geschieht.

Und das ist es auch, was wir aus diesem Abschnitt ziehen können: Nichts, was wir erleben, ist sinnlos! Ja, Jesus hätte sich sicherlich auch eine schönere Kindheit vorstellen können und doch hat er in dieser Phase all das bekommen, was er für seinen späteren Weg brauchte. Genauso werden auch wir auf unsere Aufgabe vorbereitet, einfach, indem das Leben so stattfindet, wie es eben stattfindet. Mancher von uns hat das Glück einer sehr schönen, behüteten Kindheit ohne größere Entbehrungen, andere durchleben scheinbar die Hölle. Die große Mehrheit von uns bewegt sich irgendwo dazwischen.

Und so hat sich irgendwann das Sprichwort entwickelt: „Das ganze Leben als Erwachsener sind wir damit beschäftigt, den Müll aufzuräumen, der uns in der Kindheit aufgeladen wurde.“

Das ist dann richtig, wenn wir die schlechten Erfahrungen als Müll betrachten. Und wahrscheinlich erleben viele Kinder tatsächlich Dinge, für deren Verarbeitung sie ein Leben lang brauchen. Jesus war ein Flüchtling – sein Leben verlief daher garantiert anders, als wenn er die ganze Zeit in Bethlehem oder einer anderen Stadt in Judäa, umgeben hauptsächlich von Juden und der jüdischen Staatsreligion, aufgewachsen wäre. Er hätte sich ganz anders in die Gesellschaft integriert, vielleicht hätte er nie die Art der Glaubensausübung seines Volkes hinterfragt, vielleicht hätte er sich sein Leben eingerichtet und nie auf den Ruf seines himmlischen Vaters gehört, geschweige denn, wäre diesem Ruf gefolgt.

Wir sprechen hier natürlich vom Sohn Gottes – eben nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott; die eben geäußerten Zweifel sind daher sehr steile Thesen. Doch wie ist das bei uns, die wir nur wahre Menschen sind – was oft auch schon genug Arbeit macht.

Gott hat mir den Weg, der mich an diesen Punkt führte, gezeigt, hat mir gezeigt, wie die scheinbar unabhängigen Dinge wie an einer Perlenschnur aufgereiht genau den Weg säumen, der mich hierher führte. Und ich sehe: Gerade die scherbenreichen und schmerzlichen Bruchstücke sind wesentlich. Sie säumen den Weg nicht nur, sie definieren ihn! Das macht es nicht leichter, mit ihnen umzugehen, aber gerade diese Bruchstücke machen mich zu dem, der ich bin, einen Menschen, den es so nur einmal gibt. Einen Menschen, der so wurde, wie Gott ihn haben wollte. Deswegen bejubelt Paulus seine Schwachheiten und körperlichen Leiden: Sie bereiten ihm sicherlich keine Freude, aber nur durch sie ist er Paulus, der Apostel. Nicht nur die Erscheinung vor Damaskus, auch alles davor und danach verbindet sein Leben mit Leben und Auftrag des Messias. Gerade die schmerzlichen, belastenden Dinge lassen ihn das Andere spüren, die Berührung seines Herrn, der sein Leben hält und führt.

Vielleicht ist also die Position, alles Hässliche und Schmerzliche in unserer Entwicklung als „aufzuräumenden Müll“ zu sehen gerade das Problem, das uns hindert, vorwärts, näher zu Gott zu kommen.

„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.“ (Mt 21, 42 + Ps 118, 22)

Jesus spricht hier von sich selbst, doch er fordert uns auch auf, in ihm zu bleiben, damit er in uns bleibt. Vielleicht gelingt es nicht immer, aber sollten wir nicht bei allen Dingen prüfen, ob sie eventuell nicht doch ein Eckstein in unserem Leben sind, ehe wir versuchen, sie zu verwerfen? Denn wenn sie ein Eckstein sind, verwerfen wir mit all den bösen Erinnerungen auch das Gute, das uns – richtig angepackt – vorwärts bringen könnte. Und dann wäre es sogar eine gute Sache, dass dieser vermeintliche Müll so sehr an uns haftet.

Dies ist keine Aufforderung, sich die hässlichen Dinge im Leben schön zu reden! Es ist die Aufforderung zu forschen, welcher Fortschritt, welche Entwicklung – vielleicht gar welcher Schatz – sich hinter dem Schmerz verbirgt und darauf wartet freigelegt und erkannt zu werden. Es sind oft nicht die schönsten Kartons, die die wertvollsten Inhalte bergen – auf den Speichern und in den Speichern unseres Lebens.

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