Matthäus 7, 1 – 12 (16. Januar)

„Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben versteht, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten!“ (Mt 7, 11)

Jesus greift hier, ohne es explizit zu erwähnen, die Wurzeln des Israelitischen Staates auf. Nach Josua wurde das Land von Richtern geführt. Diese zogen durch das Land und sprachen Recht nach dem Mosaischen Gesetz. Von seiner Gründung her war Israel ein Kirchen- oder Gottesstaat; die von Gott gestiftete Religion bildete das Fundament der Gemeinschaft. Nach der Zeit der Richter war der König der oberste Richter des Staates. Auch er war – genau wie der Hohepriester in der Stiftshütte bzw. später des Tempels – von Gott bestimmt. Auch wenn dieser hehre Plan nicht durchgehend funktionierte, so kehrten die Israeliten immer wieder zu diesem System zurück.

Jesus fordert die Israeliten nun auf, von diesem überholten System abzurücken. Nicht mehr „ein Auge für ein Auge, ein Leben für ein Leben“, sondern Barmherzigkeit soll die Richtschnur des eigenen Handelns sein. Der Glaube des Gottes Abrahams und Isaaks soll nun erwachsen werden!

Es ist das Gerechtigkeitsempfinden von Kindern, die für erlittenes Unrecht einen Ausgleich benötigen, um sich wieder anerkannt und geachtet zu fühlen. Einer hat mir etwas Böses getan, also fordert die Gerechtigkeit (meine Gerechtigkeit), dass auch ihm etwas Böses zu geschehen hat.

Gott denkt und handelt nicht in diesen Kategorien, das zu begreifen und auch noch im Alltag zu beherzigen, gehört zu unseren schwersten Herausforderungen. Doch Gott hat uns durch Christus zu seinen Erben gemacht; um unseren Platz einnehmen zu können, müssen wir uns seine Denk- und Handlungsweise zu Eigen machen. Da diese aber mit unserer immer noch kindlichen Denkweise unvereinbar ist, müssen wir unsere Denk- und Handlungsweisen überwinden, wenn uns der Erbe-Status nicht überfordern soll.

Ein erster Schritt kann dabei sein, mir selbst einzugestehen, dass ich nicht unfehlbar bin, dass ich mich selbst ständig – gewollt oder aus Versehen – schuldig mache. Erst wenn ich mir dessen in seiner vollen Tragweite bewusst bin – und dazu gehört das Eingeständnis Fehler gemacht zu haben, schuldig und verantwortlich für die Folgen zu sein (dieses Eingeständnis wird „Beichte“ genannt) – mein Fehlverhalten beseitigt und meine Haltung korrigiert habe, bin ich in der Lage, anderen bei ihrem Fehlverhalten wirklich eine Hilfe zu sein. Und nur dann, wenn ich meine Aufgaben in dieser Hinsicht gewissenhaft und vollständig erledigt habe, werde ich anderen eine Hilfe und kein Richter sein. Und wenn wir ehrlich sind: In diesem Punkt versagen wir alle bei jeder Gelegenheit, die sich uns bietet. Es ist so viel einfacher ein in seinem engen Horizont gefangenes Kind zu sein, das – auf andere zeigend – „Sünder!“ ruft und Gerechtigkeit fordert als die Verantwortung eines Erwachsenen für das eigene Handeln und die Nächsten zu tragen, die untrennbar mit dem verbunden ist, was wir „Freiheit“ nennen. Mich als Teil einer Gemeinschaft mit vielen einzelnen oft unvereinbaren Bedürfnissen zu begreifen, in welcher meine eigenen nicht im Zentrum stehen, hierin soll sich zukünftig das Gesetz der Propheten erfüllen.

Wer sich aber darauf einlässt, erwachsen zu werden, der findet sich in einem ständigen Wachstumsprozess wieder, der bemerkt schnell, dass dieser Weg nicht ohne Hilfe zu schaffen ist. Darum fordert uns Jesus zu unablässigem Bitten (das heißt ständiges Gebet, ständiger Kontakt zu Gott) auf. Gott wird uns geben, was wir fürs Erwachsenwerden benötigen, aber weil dieser Prozess nicht aufhört, bis wir in seinem Reich sind – wir wachsen ins ewige Leben hinein – werden wir ständig bitten müssen. Auf dem ganzen Weg brauchen wir den Rat und die Hilfe unseres Gottes, denn wir überblicken diesen Weg nicht, wir wissen nur, dass er schmal und die Pforte an seinem Ende eng ist. Zum Erwachsenwerden gehört dann eben auch, sich auf den Scout zu verlassen, der den Weg kennt. Vertrauen ist ein wesentlicher Teil des Glaubens und es ist der einzige Punkt, in welchem wir in unserer Beziehung zu Gott Kind bleiben dürfen, ja sogar müssen.

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