„Denn die Geldgier ist eine Wurzel alles Bösen; etliche, die sich ihr hingegeben haben, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich selbst viel Schmerzen verursacht. Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge, jage aber nach Gerechtigkeit, Gottesfurcht, Glauben, Liebe, Geduld, Sanftmut!“ (1.Tim 6, 10-11)
Handelte der erste Brief an Timotheus – mit eben genannter Ausnahme – davon, wie eine Gemeinde zu organisieren sei, so erzählt der zweite Brief von der Endzeit – oder genauer (denn die Endzeit begann mit Jesu erstem Erscheinen in der Welt) mit der Endphase dieser Endzeit.
Es ist ein Thema, das heute gerne verdrängt wird und das deshalb gerne von selbsternannten Endzeit-Propheten aufgegriffen wird um Angst und Schrecken zu verbreiten – sei es, weil es sich dabei um die im ersten Brief erwähnten aufgeblasenen Schwätzer und Wichtigtuer handelt oder weil sich diese Menschen mit Hilfe der Angst bzw. der durch ihre Lehren angeblich zu erreichenden Erlösung bereichern wollen.
Von Letzteren handelt – neben einer kurzen Erwähnung im ersten – verstärkt der zweite Brief. Paulus ist inzwischen in Rom festgesetzt, d.h., in Hausarrest und erwartet Todesurteil und Hinrichtung. Folgerichtig ist der Blick im Abschiedsbrief an seinen Zögling ganz auf das Ende gerichtet, sowohl das persönliche Ende als auch das Ende der Endzeit, in der wir uns heute, zweitausend Jahre später immer noch befinden.
Vielleicht sollten wir erst einmal klären, was „Endzeit“ meint. Endzeit ist die Zeit vor dem Gericht, sie ist gleichzeitig die Erntezeit für den Herrn, also die Zeit, in der Gott seine Kinder in seinem Reich sammelt. Es muss uns in jedem Schritt klar sein, nicht wir bereiten uns auf das Ende vor, sondern Gott bereitet uns auf das Ende vor. Er tut dies, indem er uns alle – alle die seine Kinder sind – mit seinem Heiligen Geist ausstattet. Es ist dieser Geist der uns nicht nur führt, sondern der uns vor allem zuerst einmal mit unserem Gott verbindet. Es ist dieser Geist, der dafür sorgt, dass am Ende nicht eine Seele verloren gehen wird. Wenn man den Geist als Person betrachtet, wie schon Jesus oder den himmlischen Vater, dann leistet dieser Heilige Geist seit 2000 Jahren Schwerstarbeit, denn er hält den Laden zusammen, der von außen betrachtet – wenn man diesen zweiten Brief an Timotheus aufmerksam liest – schon seit 2000 Jahren den Eindruck macht, als würde er jede Minute auseinanderfallen. Und der trotzdem seit 2000 Jahren hält! Das ist das Werk des Heiligen Geistes, der uns alle mit Jesus verbindet, der uns alle zusammen zu der Heiligen Familie Gottes macht.
Und damit ist der genaue Zeitpunkt des Beginns der Erntezeit und damit der Endzeit auch festgelegt. Die Endzeit begann exakt mit der Ausschüttung des Heiligen Geistes über die Zwölf und gleich darauf über die ca. 3000 in Jerusalem, die an jenem denkwürdigen ersten christlichen Pfingstfest den Zwölfen zuhörten und ihrerseits vom Heiligen Geist erfüllt wurden. Seit diesem Tag breitet sich das Reich Gottes in dieser Welt aus, für die Welt verborgen, diese sieht nur eine mehr oder weniger unglücklich handelnde und verkündende Gruppe, nie stärker als der schwache Glaube, der sie trägt, aber – ausgestattet mit der Kraft des Heiligen Geistes – trotzdem scheinbar unkaputtbar.
Paulus freilich, beraubt jeder Möglichkeit vor Ort in den Gemeinden zu wirken, zu ermahnen und zu korrigieren, erfährt aus spärlicher werdenden Rückmeldungen, wie sich die von ihm gegründeten Gemeinden immer mehr den weltlichen Maßstäben angleichen. Dass ihn, mit Ausnahme von Lukas, selbst engste Freunde in Rom im Stich gelassen haben und nun eigenen Geschäften nachgehen, verstärkt ihn ihm offensichtlich seine größte Angst, nämlich, dass bereits gewonnene Seelen wieder an die Welt verloren gehen könnten.
Wie sieht Paulus das Ende der Endzeit, also den Zustand der Welt an der Grenze zum Gerichtstag?
„Die Menschen werden selbstsüchtig sein, habgierig, prahlerisch, überheblich, Lästerer, ungehorsam gegen die Eltern, undankbar, gottlos, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, unbeherrscht, rücksichtslos, dem Guten abgeneigt, heimtückisch, verwegen, hochmütig, mehr dem Vergnügen als Gott zugewandt. Den Schein der Frömmigkeit wahren sie, verleugnen aber deren Kraft. Wende dich von diesen Menschen ab!“ (2.Tim 3, 2-5)
Und wer jetzt denkt: ‚Huch, er beschreibt unsere Gegenwart!‘, der hat natürlich Recht, aber ich bin sicher Paulus beschrieb in dieser Situation auch seine eigene Gegenwart bzw. unmittelbare Zukunft. Aus den Beobachtungen der dekadenten Römer und den Beschreibungen, wie sich die von ihm gegründeten Gemeinden entwickelten, konnte er die unmittelbare Zukunft sehr gut ableiten – und sie sah, abgesehen von zeitgenössischen Besonderheiten, nicht anders aus als unsere.
Man sieht die Früchte des Egoismus, entweder schamlos und offen ausgelebt, stets mit einem prahlerischen „Ich habe das Recht dazu!“ auf den Lippen oder verborgen unter einem Feigenblatt von Scheinheiligkeit in der feierlich dargestellte religiöse Rituale und Traditionen den im Herzen getragenen Egoismus übertünchen sollen, in der die uns von Christus als absolut und nicht interpretierbaren Werte Barmherzigkeit und Nächstenliebe in einem Meer von Ausreden ersäuft werden.
Paulus sah diese Entwicklung vor zweitausend Jahren und es war keine prophetische Vision, es war die logische Schlussfolgerung seiner Beobachtungen. Und Paulus hatte mit seiner Prognose recht: Es wurde mit der Zeit immer schlimmer (2. Tim 3, 13). Wie langmütig und geduldig ist unser Gott!
Und so appelliert Paulus ein letztes Mal an die Standhaftigkeit seines Lieblingsschülers:
„Du aber bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. (…) Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk.“ (2.Tim 3, 14+16-17)
Das ist auch der Rat, den er uns mit auf den Weg gibt. Es ist allein die Heilige Schrift, die uns durch den in uns wirkenden Heiligen Geist den Willen Gottes offenbart. Dabei sind viele Geister in dieser Welt unterwegs, die uns immerzu einflüstern, was in dieser oder jener Situation das Beste (für uns) wäre und was deshalb zu tun oder auch zu lassen wäre. Es muss uns dabei stets bewusst sein: Nicht jeder Geist, der zu mir spricht, kommt wirklich von oben! Der Geist Gottes aber wird sich immer an dessen Wort halten, das in der Bibel steht. Der Geist Gottes ist der Geist der Bibel!
Und auch das muss uns klar sein: Wenn wir zu lange einem falschen Geist gefolgt sind, können wir in Situationen geraten, aus denen es – im Sinne des Wortes Gottes – keinen richtigen Ausweg mehr gibt. Paulus empfiehlt dann die Abkehr und Umkehr (2.Tim 3, 5). Solche Schritte sind in solchen Situationen meist radikal und schmerzhaft.
„Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Es muss zwar Ärgernisse geben; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!“ (Mt 18, 6-7)