Nur 1 Leben?

Diese Woche endete eine Predigtreihe im Fernsehen über das Zweite Buch Mose, also Exodus, und der Priester erklärte, jeder Christ macht im Laufe seines Lebens einen solchen Exodus von der Unfreiheit dieser Welt zur von Gott geschenkten Freiheit.

Während ich Pastor Wegert in diesem Punkt hundertprozentig zustimmte, drängte ein anderer, ein älterer Gedanke wieder in mein Bewusstsein: Ist es wirklich nur ein Leben?

Biologisch betrachtet natürlich nur eins, aber von der Erfahrung her?

Wie war das bei den Israeliten? Sie lebten einige hundert Jahre in Unfreiheit, als Sklaven des Pharaos von Ägypten. Da rief Gott Mose und beauftrage ihn: „Führ mein Volk in die Freiheit!“ – und mit einigem Murren, Zaudern und Zetern folgte Mose dem Ruf seines Gottes. Spürbar begann hier für ihn ein neues Leben. Doch auch davor hatte er schon mehrere, zum Beispiel bei seinen Eltern, am Hof des Pharaos, auf der Flucht in und durch die Wüste nach dem Mord am Aufseher, als Ehemann, Vater und Hirte und eben jetzt als Berufener Gottes. In keinem dieser Leben hatte er die Wahl in das alte zurückzukehren, das wäre verhängnisvoll gewesen. Und als Berufener Gottes blieb er zwar Ehemann, Vater und Hirte, aber in sein ursprüngliches Leben konnte er nicht mehr zurück.

Bei Lichte betrachtet, waren die Hebräer zunächst von der Idee nicht wirklich begeistert, doch irgendwie entzog sich der Prozess ihrer Kontrolle und plötzlich war der Abend des Aufbruchs da und kurze Zeit später waren sie auch schon unterwegs.

Schauen wir uns die Geschichte weiter an, so stellen wir fest, dass sie immer wieder „zu den Brotkörben Ägyptens“ zurückwollten. Und während Gott Mose auf dem Berg die Satzungen der Freiheit aufschrieb, da bastelte sich sein Volk einen ägyptischen Gott (die Kuh ist das Tier der Götter Hathor und Isis, aus Hathors Kopf ragen in Statuen und Reliefs die Hörner einer Kuh), also einen Gott der Sklaverei, den sie als ihren Befreier anbeteten. Ohne Zweifel sehnten sich die Hebräer zumindest in Momenten von Unsicherheit und Gefahr in die Welt ohne Verantwortung zurück. Allein, es funktionierte nicht! Entweder trieb die Not, der Feind oder sogar ihr Gott sie vorwärts oder der Rückschritt führte gar in den Tod, wie bei der Anbetung des goldenen Kalbes.

Die Erfahrung: Wenn ein Lebensabschnitt zu Ende ist, beginnt ein neuer und der alte ist für immer zu Ende. Wir können nicht zurück.

Diese Einsicht wird bereits durch die Schöpfungsgeschichte vermittelt. Hier verwehrt ein Engel mit Flammenschwert die Rückkehr ins Paradies, dem zurückliegenden und abgeschlossenen Lebensabschnitt. Wenn wir aber nicht zurückkönnen, wenn die Tür nur in eine Richtung passierbar ist, wäre es dann nicht angebracht, von dem Abschnitt, der nach Durchschreiten der Tür beginnt, gleich von einem neuen Leben zu sprechen? Das alte Leben ist zu Ende, es gibt nur noch das neue. Die Tür steht für den Tod zwischen zwei Leben.

Dann besteht das eine Leben, das wir wahrnehmen in Wirklichkeit aus einer Aneinanderreihung vieler Leben, teilweise aufeinander folgend, teilweise auch ineinander verschachtelt und sich überlappend. In jedem Leben sind wir eigentlich ein anderer, denn jedes zurückliegende Leben hat die Person geformt. Nach Durchschreiten einer Tür bin ich nicht mehr derselbe, denn ich bin immer das Ergebnis meiner Erfahrungen und Erkenntnisse.

Die scherzhafte Frage: Wer bin ich – und wenn ja: wie viele? Ist also gar nicht mal so abwegig.

Das erste Leben beginnt im Mutterleib. Sobald Samen- und Eizelle verschmolzen sind, beginnt die Zelle sich unaufhörlich zu teilen. Sie tut dies nach einem festgelegten Bauplan, der in der DNA gespeichert ist. Was hier geschieht, das entzieht sich äußerer Kontrolle, obwohl es vollständig vom Außen abhängig ist. Es ist eigenständiges Leben in Unfreiheit – hier, in der Entwicklungsphase natürlich nur zum Wohle des neu entstandenen Lebens.

Leben ist also – im einfachsten Fall – Selbsterhaltung und Selbst-Reproduktion nach einem bestimmten, vorgegebenen Plan. Dies in Abgrenzung zu Krebszellen, die sich zwar auch selbstständig erhalten und vermehren, aber eben nicht nach einem Plan. Erkenntnis an diesem Punkt: Leben in Unfreiheit braucht kein eigenes Bewusstsein.

An welchem Punkt genau nun menschliches Leben beginnt, das überlasse ich den Fachleuten aus Medizin, Philosophie und Ethik.

Irgendwann ist dieses Leben im Mutterleib in der Lage, sich auch außerhalb des Schutzraumes der Plazenta zu erhalten, dann folgt die Geburt. Der erste Abschnitt geht zu Ende, ein neuer beginnt. Und es gibt kein Zurück, d.h., nach den vorangegangen Gedanken, dass ein neues Leben beginnt.

Auch dieses Leben ist nach wie vor fast vollständig abhängig von der Außenwelt, die nun aber eine andere ist. Das entsprechende Bild für den Christen ist die Säuglingstaufe. Der Säugling wird in die Gemeinschaft mit und durch Gott (als vorgegebene „äußere Bedingung“) aufgenommen, erhält hier also ein neues Leben, das zwar zu diesem Zeitpunkt fest mit dem biologischen verbunden ist, aber trotzdem unabhängig davon existiert, denn die Nahrung, die es erhält, kommt eben nicht aus der Welt, sondern direkt von Gott. Nach der Taufe führen wir zwei Leben und das biologische diktiert den Rhythmus.

Es ist eigenartig, aber es scheint, dass Menschen nach diesem anderen Leben zu suchen begannen, sobald sie sich ihrer selbst bewusst waren. Die Suche nach Gott begann also lange vor den Religionen, die (ersten) Religionen sind wohl in der Tat psychologische Reaktionen auf diese beginnende Suche.

Was war nun aber zuerst da: Gott oder der nach ihm suchende Mensch? Die Antwort auf diese Frage unterscheiden den Gläubigen vom (wirklichen) Atheisten. Ja, Menschen, die zwar nicht an Gott glauben, aber doch an irgendeine, anonyme, lenkende, kosmische Macht sind keine Atheisten. Sie haben eine andere Offenbarung erfahren und wir können nicht sagen, auf welchem Weg sie sich befinden. Es könnte sogar ein so von Gott vorbereiteter sein. Aber das ist ein anderes Thema.

Natürlich beginnt das neue Leben mit Gott nicht durch die Taufe! Es ist ewig, also ohne Anfang und ohne Ende, und es ist von Gott gegeben. Die Taufe vollzieht diese Glaubensgewissheit lediglich sichtbar für die Gläubigen. Wir sind so abhängig von sichtbaren Zeichen, auch das können wir aus Exodus an vielen Stellen herauslesen. Die Taufe macht für uns sichtbar: Dieses Leben ist noch von uns abhängig (erstrecht natürlich von Gott). Darum ist der zentrale Punkt der Säuglingstaufe auch das Taufversprechen der Eltern und der Paten. Eltern und Paten, in Wirklichkeit aber die ganze Gemeinde, sind dafür verantwortlich, dass das in diesem Menschen heranwachsende (in diesen Menschen hineinwachsende) Leben die Nahrung erhält, die es zum Wachsen benötigt. Das biologische Leben benötigt Nahrung, Schutz und Beziehungen; das von Gott gegebene Leben benötigt im Grunde dasselbe: Nahrung – das ist das Wort Gottes, das uns hilft, gemachte Erfahrungen von einer höheren Warte aus zu beurteilen, also Erkenntnisse zu sammeln, die persönliche Beziehung wird uns von Gott selbst angeboten, denn er sieht uns nicht als bloße Geschöpfe und Schutz erfahren wir aus dieser Beziehung mit ihm. Das Wort Gottes, das sind die Satzungen der Freiheit, die Gott uns gegeben hat und die Eigenverantwortung und Verantwortung für die ganze Gemeinde und jedes Individuum darin beinhalten. Freiheit bedeutet (auch) bei Gott tätige Ausübung der eigenen Verantwortung.

Und genau, wie beim neugeborenen, biologischen Leben gibt es kein Zurück in die Unfreiheit (oft als Freiheit von jeglicher Verantwortung als durchaus angenehm empfunden). Das funktioniert im biologischen Leben nicht und das funktioniert im geistlichen Leben auch nicht. Die Tür kann nur in eine Richtung durchschritten werden. Jeder Versuch, in das alte Leben zurückzukehren, wird auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger tragisch scheitern!

Dann kommt die Zeit des Heranwachsens. Wer lernen dazu, wir lernen Beziehungen außerhalb der eigenen Familie zu knüpfen und zu erhalten; wir werden selbstständiger. Dies ist eine biologische Notwendigkeit. Ich muss in der Lage sein, mein Leben so eigenständig und eigenverantwortlich wie nur möglich selbst zu erhalten, denn je größer meine Abhängigkeit, desto größer die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Doch kein Mensch ist jemals vollständig unabhängig; wer das glaubt, der lebt in einer Illusion. Und das ist auch der Weg, den Gott dem in dieser Welt von ihm gegebenen Leben vorgibt. Wie die biologischen Eltern, hat er dafür Voraussetzungen geschaffen. Einmal auf den Weg gebracht, wird (und soll!) das Kind Gottes zunehmend eigenständig über die nächsten Schritte entscheiden.

Die Israeliten mussten das auf ihrer Wanderung durch die Wüste auch immer wieder tun und sind auch immer wieder gescheitert. Doch gerade im Scheitern lagen die wichtigen Lehren fürs Vorankommen! Jeder Erfolg, aber noch viel mehr jedes Scheitern, verändert den Menschen. Unbemerkt durchschreitet er hierbei eine Tür, durch die er nicht mehr zurückkann. Wir können nicht mehr hinter den Punkt einer bereits gemachten Erfahrung zurück.

Darum fordert Gott uns über Paulus auf, unablässig zu beten! Es geht nicht darum, Gott irgendwelche Frömmigkeit zu beweisen. Das Innehalten ist wichtig, um aus einer Erfahrung eine Erkenntnis zu gewinnen, die mir dann im sich daran anschließenden Leben zur Verfügung steht.

Das neue Leben beginnt nach der gemachten Erfahrung auf jeden Fall; dies entzieht sich meiner Kontrolle. Es ist geschehen, es gibt kein Zurück! Aber nur wenn ich die Erkenntnis aus der Erfahrung in das neue Leben mitnehme, kann sie mir dort nützen. Damit ist auch schon klar, dass mit „Gebet“ nicht ein Redeschwall gemeint sein kann, denn ich muss in mich hineinhorchen, muss hören, was Gott, was der Geist mir in der gemachten Erfahrung zu erkennen geben wollte. Gebete sind „unaussprechliche Seufzer des Geistes“, etwas moderner ausgedrückt: Innehalten oder auch Meditieren.

Wenn ich den Beginn eines neuen Lebens bewusst wahrnehme, dann fühle ich mich oft von dieser Situation überfordert. Ich habe das Gefühl, mir fehlen dafür notwendige Erfahrungen und Erkenntnisse. Doch wie viele davon könnte ich bereits besitzen, wenn ich mir in den Leben davor die Zeit genommen hätte, die Erfahrungen zu verarbeiten und so in Erkenntnisse umzuwandeln?

Diese Frage betrifft das biologische und das geistliche Leben gleichmaßen!

Viele feiern gerne und ausgiebig ihren Geburtstag. Wir haben viel mehr Anlass zum „Feiern“. Viele Tage im Jahr sind angefüllt mit Erfahrungen, die für uns bereitliegen, um bleibende Erkenntnisse daraus zu gewinnen. Jede neue Erkenntnis steht für ein erfolgreich abgeschlossenes Leben – das neue startete danach, wie schon gesagt, ganz automatisch ohne unser Zutun und es gibt kein Zurück. Durch die gewonnene Erkenntnis wird jedes beendete Leben erfolgreich, auch wenn wir in der Welt vielleicht auf ein Scheitern zurückblicken müssen. Dies gilt auch entsprechend für schwere Erkrankungen und andere Schicksalsschläge, die ebenfalls eine dramatische, immer lebensverändernde Erfahrung darstellen. Wenn ich mir nicht die Mühe mache, die Erkenntnis dahinter aufzuspüren, wird mich nur die Angst vor solchen Schicksalsschlägen ins nächste Leben begleiten. Feiert das Leben! Nicht, weil ihr nur eines habt, sondern indem ihr euch die Zeit nehmt, die gesammelten Erfahrungen in Erkenntnisse umwandelt, die eure folgenden Leben reicher machen werden! Erfahrungen in Erkenntnisse umtauschen, das ist Leben mit Gott, das ist Leben im eigentlichen Sinne!

Springen wir nochmal zurück in das Leben vor der Geburt. Welche Erfahrung bringe ich von dieser Zeit mit? Welche Erkenntnisse habe ich aus diesem Leben gewonnen? Manche Menschen glauben fragmentarische Erinnerungen an die Zeit im Mutterleib zu haben. Beweise hierzu dürften schwer zu finden sein, ebenso schwer dürfte es aber auch sein, die Behauptung zu widerlegen. Meine Geburt zog sich über 10 Stunden hin, nur ein Kaiserschnitt – quasi in letzter Sekunde (damals war diese Prozedur noch nicht Routine und gefährlich) – rette mir und meiner Mutter das Leben. Ich kann mich natürlich (glücklicherweise!) nicht daran erinnern. Aber vielleicht ist meine schwere Skoliose, die Verformung der Wirbelsäule ja ein Andenken an diese zehn Stunden. Und vielleicht empfinde aufgrund dieser zehn dramatischen Stunden, die der Wechsel von einem ins nächste Leben dauerte, heute jedes Hindernis, das sich mir in den Weg stellt als existenzielle Bedrohung. Wenn ein Widerstand auftaucht, wechsle ich sofort in den Überlebensmodus. Und, wenn es so wäre, nützte mir diese Erkenntnis nun etwas? Ja, denn die Voraussetzung solche durch äußere Einflüsse ausgelöste autonome Reaktionen zu beeinflussen und zumindest in gewissem Maße zu steuern, setzt voraus, dass wir sie kennen.

Anderes Beispiel: Mein Vater starb, als ich zwei Jahre alt war. Ich war nicht alt genug, um den Verlust bewusst wahrzunehmen, doch es hat die Art wie ich heute Beziehungen empfinde, garantiert maßgeblich beeinflusst. Wenn eine neue Beziehung in meinem Leben beginnt mehr Raum einzunehmen, kapsle ich mich entweder ab (Mauer als Selbstschutz) oder klammere (Verlustangst). Auch hier macht es mir das Wissen um die erworbene autonome Reaktion möglich, sie in meinem Verhalten früher zu erkennen und möglicherweise gegenzusteuern. Das gelingt natürlich nicht immer, aber ohne das Wissen darum hätte ich nicht einmal die Chance, darauf zu reagieren. Es macht aber auch verständlich, warum ich mich ohne zu zögern an diesem Gott geklammert habe, als er sich mir zeigte, warum ich ihn Papa nenne und er mir das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit gibt, obwohl diese Anrede für andere vermutlich befremdlich klingt. Für mich ist „Papa“ im allerengsten Sinne der Ort von Zuflucht, Geborgenheit und Liebe, nicht, weil ich diese Dinge nicht auch in dieser Welt fand, sondern weil ich sicher bin, sie bei ihm immer wiederzufinden. Das ist Papas persönliche Zusage an mich, an die er sich verlässlich hält. Daheim bin ich, wo Papa ist. Papa ist, wo ich daheim und angenommen bin.

Wenn es also (siehe oben) eine autonome Reaktion der menschlichen Psyche ist, nach einem Sinn des Lebens und einem höheren Wesen zu suchen, so können wir dieser auf den Grund gehen und so mehr darüber erfahren, vielleicht die Suche sogar besser steuern.

Offensichtlich genügt es dem Menschen nicht, ein Spielball der Zeit zu sein, für eine gewisse Zeit auf diesen Planeten geworfen und dann wieder ausgelöscht zu werden. Es genügt uns nicht, dass wir uns fortpflanzen und so unsere Art erhalten. Allem anderen Leben auf diesem Planeten genügt das aber genauso offensichtlich. Unbestreitbar unterscheiden wir uns also vom Rest. Daraus eine Rangordnung („Krone der Schöpfung“) zu schlussfolgern, wäre nun weit hergeholt, aber wir sind definitiv anders gestrickt. Und wir sind nicht damit zufrieden, dass das nur eine Laune der Natur (der Evolution) gewesen sein soll. Die Ablehnung dieser Annahme ist berechtigt, denn die Natur entwickelt nichts, was nicht irgendeinen Sinn hat, was nicht die Chancen des Lebens, genauer des Überlebens, verbessert. Sinnfreie Spielarten der Evolution kommen natürlich auch vor, halten sich aber dann meist nicht lange, denn alles, was nicht wirklich zur Selbsterhaltung gebraucht wird, ist bestenfalls Energieverschwendung, schlimmstenfalls sogar im Weg. Die Suche nach einem Sinn und einer höheren Macht ist aber älter als der moderne Mensch. Und sie hat sich die ganze Zeit gehalten! Diese Eigenart des Menschen muss also in irgendeiner Weise sinnvoll für sein Leben sein, muss aber einen Sinn haben, der nicht in diesem Leben liegt. Das heißt, die Suche nach Gott ist keine Laune der Natur, sie füllt eine reale Leerstelle im Leben. Eine Leerstelle, die nur durch das gefüllt werden kann, das wir Gott nennen. Und dieser Gott ist nicht weltfremd, ganz im Gegenteil. Seine Weisungen zur Freiheit (Nächstenliebe, Mitgefühl) regeln unser Zusammenleben, ermöglichen uns Gemeinschaften zu bilden, die uns mehr geben als nur das Überleben der Sippe oder des Rudels. Wir erleben und leben unsere Gemeinschaften bewusst. Wir wählen und wechseln Gemeinschaften – hoffentlich nicht nur nach dem unmittelbaren materiellen Nutzen. Die Bibel sagt uns unmissverständlich: Wer in dieser Welt nur nach Materiellen strebt, der wird auch nur das Materielle bekommen … und meistens nicht in dem Umfang, in dem er sich das vorgestellt hat. Nein, die Gemeinschaften, in die Gott uns schickt, entwickeln sich durch unser Mitwirken und wir Entwickeln uns durch ihren Einfluss auf uns. Da steckt ein (größerer) Plan dahinter und in diesem Punkt gibt uns weder das biologische Leben noch Gott die Freiheit, uns dagegen zu entscheiden. Der totale Rückzug aus den Gemeinschaften funktioniert immer nur für eine sehr begrenzte Zeit.

Und weil wir nun einmal in Gemeinschaften leben – ebenso biologische Notwendigkeit, wie Wille Gottes – braucht es auch Zeiten, in denen wir das Leben als Gemeinschaft feiern, uns also die Zeit nehmen, aus zurückliegenden Erfahrungen Erkenntnisse für die Gemeinschaft zu gewinnen. Denn auch die Gemeinschaft – die Kirche – lebt und beginnt mit jeder Erfahrung ein neues Leben. Aus den gemachten Erfahrungen gewonnene Erkenntnisse helfen dabei, zukünftige Gemeindeleben reicher, sprich: gelingender, zu gestalten. Nutzt die Gemeinde dieses Entwicklungsangebot nicht, so wird sie – genau wie das Individuum – nur den Frust und die Enttäuschung in die nächsten Leben mit hinübernehmen. Zurück zu einem alten, zurückliegenden Leben kann auch die Gemeinde nicht!

Auch Gemeinden tun darum gut daran, das Gemeindeleben im eben beschriebenen Sinne zu feiern. Hiermit sind also nicht die großen, festlichen und höchst erbaulichen Gottesdienste an hohen Feiertagen oder die kleineren am Sonntag gemeint. Diese Form, das Gemeindeleben zu feiern, geschieht im Beisammensein, im gemeinsamen Innehalten, im gemeinsamen Aufarbeiten. Dafür Zeit einzuplanen ist daher immer weise; hierin investierte Zeit ist gewonnene Zeit.

Und weil die hier gewonnen Erkenntnisse direkt oder indirekt auch immer in das Leben des Individuums in der Gemeinde hineinwirken, also auch zur persönlichen Entwicklung beitragen, wird die Mitarbeit in einem Ältestenrat, einem Gemeindeteam oder anderen Organisationsgremien der Gemeinde auch immer eine persönliche Entwicklungschance bieten. Der Erkenntnisgewinn und die Möglichkeiten, die sich daraus für mich und für die Gemeinde ergeben, sind das Geschenk Gottes an jeden, der seinem Ruf folgt und mitwirkt!

Der Lohn Gottes für meine und deine Treue beschränkt sich nicht auf das ewige Leben. Dafür wurden wir geschaffen! Gott belohnt uns immer und immer wieder mit Erkenntnis und persönlicher Entwicklung. Wir dürfen im wahrsten Sinne des Wortes unsere Vollendung durch seine Hand bewusst (und durch alle Höhen und Tiefen hinweg) erleben. Und darum sollten wir uns auch regelmäßig die Zeit zur bewussten Wahrnehmung des Weges und der Entwicklung nehmen. In der Erkenntnis über unsere Entwicklung und der Entwicklung der Gemeinde erkennen wir Gott.

Die letzte Tür

Wir erfahren unsere Vollendung beim Durchschreiten der letzten Tür, dem biologischen Tod. Dann sind wir daheim, in der Gemeinschaft mit Gott und mit allen anderen seiner Kirche. Sowohl das persönliche Leben als auch die Gemeinschaft (mit Gott) erfahren bei diesem Durchschreiten der letzten Tür ihre Vollendung.

Auch das Buch Exodus endet gewissermaßen mit einer letzten Tür. Die Israeliten bauen zum ersten Mal die Stiftshütte auf und Gott zieht ein. Er erfüllt das Zelt so, dass nicht einmal Mose drin verweilen kann. Gott ist nun inmitten seines Volkes, die Gemeinschaft ist vollendet. Das ist ein Bild für das, was uns hinter der letzten Tür erwartet.

Irgendwann endet das biologische Leben auf diesem Planeten. Irgendwann gehen wir durch diese letzte Tür. Sie verliert ihren Schrecken mit der Zeit, wenn wir die vielen anderen Türen, durch die wir davor geschritten sind und von denen es auch kein Zurück mehr gab, bewusster wahrnehmen. Denn dann ist die letzte Tür nur eine weitere, eben die letzte.

Auch die Israeliten werden beim Errichten der Stiftshütte keine Angst verspürt haben, sondern Freude. Die Bibel berichtet nur davon, dass sie alles genauso taten, wie der Herr es ihnen aufgetragen hatte. In der Praxis werden die einzelnen Elemente nach und nach entstanden sein, man wird immer mal wieder Dinge probehalber zusammengesetzt und dann wieder auseinandergenommen haben, weil eben nicht alles auf Anhieb passte. Garantiert gab es ebenso Erfolge wie Rückschläge. Es gab gute und schlechte Erfahrungen und daraus gewonnene Erkenntnisse. Und schließlich war der Bau fertig und alle Erfahrungen und Erkenntnisse manifestierten sich in der errichteten Stiftshütte. Ganz klar: zwar ein Ende, aber auch der Moment allergrößter Freude. Und Gott vollendet diese Freude.

Wie wir die Erkenntnisse der vorigen Leben in das jeweils nächste mitgenommen haben, werden wir auch hier beim Durchschreiten der letzten Tür alle Erkenntnisse aller nun abgeschlossenen Leben mitnehmen. Und dann ergibt die Aufforderung Jesu „Sammelt euch Schätze im Himmel“ endlich Sinn. Alle unsere Erkenntnisse, die uns ausschließlich für unsere materielle Existenz genützt haben, sind mit einem Schlag wertlos, denn alles – wirklich alles! – Materielle bleibt in dieser Welt zurück. Nur Erkenntnisse, die in diesen Leben hier aus Gottes Satzungen der Freiheit gewonnen wurden (Nächstenliebe, Mitgefühl), sind die genannten Schätze im Himmel. Der Wahrheit ins Gesicht blickend werden wir erkennen, welche Erkenntnisse wir nicht angenommen haben, welche Möglichkeiten persönlicher Entwicklung (im Sinne des wahren Lebens), welche Belohnungen Gottes wir in den zurückliegenden Leben zurückgewiesen haben – auf welchen wahren, ewig beständigen Reichtum wir verzichtet haben, welche Erfüllung wir schon in den zurückliegenden Leben hätten noch erfahren können.

Sammelt euch Schätze im Himmel!

 

 

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