Ich stelle immer wieder fest, dass uns genau diese Warnung in der täglichen Umsetzung die größten Probleme bereitet. In unserer Gerechtigkeit werden die Schuldigen bestraft, sobald ihre Schuld festgestellt ist. Doch die Bestrafung findet natürlich nicht immer im vorgestellten Maß (oder auch überhaupt nicht) statt und das lässt uns dann an der angewandten Gerechtigkeit zweifeln. Warum soll ich mich an Regeln halten, wenn es andere auch nicht tun?
Doch unser Ruf nach Gerechtigkeit hört auf dieser Ebene nicht auf. Immer wieder werden Probleme auftauchen, welche die gesamte Gemeinschaft belasten. Wir sind dann nur zu gerne bereit, alle, die sich in dem problematischen Bereich schuldig machen für das ganze Problem verantwortlich zu machen. Wir glauben, das Problem könne nur durch konsequente Bestrafung der Schuldigen gelöst werden.
Oder aber Geschehnisse sind so grausam, dass uns die Wiederherstellung von Gerechtigkeit völlig ausgeschlossen erscheint.
Wir rufen dann nach Gott, nach dem Staat nach irgendjemandem, der uns unser Recht verschafft. Dieser Ruf ist sogar ein zentraler Ruf in der Offenbarung des Johannes am Ende der Zeit!
Doch gerade wir Kinder Gottes sollten dann die Schrift an der Wand beachten! Wenn unsere ganze Gerechtigkeit auf die Bestrafung der Schuldigen fokussiert ist, müssen wir uns erinnern, dass wir alle schuldig sind. „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer!“, heißt es gleich mehrfach in der Bibel, zuletzt im Römerbrief.
Gott hat uns begnadigt, weil wir ohne diese Gnade in der Schuldfrage alle untergehen. Und diese Haltung fordert er auch von uns, z.B. im Gleichnis vom treuen und vom schlechten Knecht (Mt 24, 45-51). In diesem Gleichnis geht es nur vordergründig um Geld. Geld ist einfach ein Beispiel, das jeder unmittelbar versteht und die Menge des geschuldeten Geldes ein objektives Maß für „Schuld“ allgemein.
Auch wenn wir alle vor Gott unentschuldbar schuldig sind, schenkt er uns Gnade, d.h., er schließt uns nicht aus, im Gegenteil. Keinen von uns. Es gibt keinen Zeitpunkt, an dem er sich in Grausen von jemandem abwendet und ihn sich selbst überlässt.
Es wird am Ende nicht einmal einen Schuldspruch geben, bezeugt Jesus, wenn er sagt: „Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet, und wer nicht an mich glaubt, der ist schon gerichtet.“
Wenn wir an Jesus glauben, verurteilen (richten) wir nicht, denn wir sind seine Schüler und tun es ihm nach. Wenn wir an Jesus glauben, ist Verurteilung und Strafe nicht der Weg, den wir gehen oder fordern.
Wir sind hier, um zu heilen, nicht um zu richten! Wir heilen, weil wir selbst diese Heilung benötigen.
Der Frieden mit Gott hängt für jeden von uns an der Nachfolge Christi!
Wenn also deine ganze Gerechtigkeit auf die Bestrafung der Schuldigen fokussiert ist, wie willst du dann jemals Frieden mit Gott haben? Der Frieden wird nicht an seinem Angebot scheitern, sondern an deiner Haltung.
Aber diese gefallene Welt versteht doch keine andere Sprache!
Gott spricht in der Sprache der Gnade und der Liebe in diese Welt. Zweifelst du an der Weisheit Gottes?
Wie willst du dann jemals Frieden mit Gott haben?
Ja, das Reich Gottes, von dem Jesus spricht, ist nicht von dieser Welt, aber es ist bereits in der Welt, in jedem Menschen der Christus nachfolgt. Du entscheidest, ob und wo du ihm in deinem Leben Raum gibst. Du entscheidest, wo du in dieser Welt Gemeinschaft mit Gott möchtest und wo du ihn wegstößt, weil du meinst, es besser zu wissen.
Du hast Frieden mit Gott, wenn du in allen Haltungen und Entscheidungen deines Lebens Frieden mit ihm hast! Kämpfe um diesen Frieden! Es ist ein Kampf, den du jeden Tag aufs Neue mit dir selbst ausfichtst.
Kämpfe durch deine Haltungen und Entscheidungen nicht gegen Gott, in keiner Situation! Nicht, weil er dich dann bestrafen würde (nicht er richtet, du richtest dich selbst!), sondern, weil du Gott so von dir wegstößt. Im Ringen um die richtige Haltung und die gute Entscheidung bleibt noch genug Kampf für dich übrig, denn die Welt wird dich ein ums andere Mal herausfordern.
Richte deinen Blick auf Gott und gehe beharrlich in diese Richtung! Höre nicht auf die Stimmen in dieser Welt, die andere Regeln verkünden, die fordern Schuldige zu verurteilen, weil die Welt ein besserer Ort würde, wenn diese oder jene bestraft würden.
Natürlich kennt die Welt Gesetze und Konsequenzen bei Übertretungen. Die aufgeführten Konsequenzen dienen zumeist der Wiedergutmachung oder dem Schutz der Gemeinschaft. Keine davon löst die tieferliegenden Probleme dahinter! Angst, Drohungen, Strafen – nichts davon macht die Welt zu einem besseren oder doch wenigstens gerechteren Ort! Allein Erkenntnis und daraus gewonnene, persönliche Einsicht vermögen dies zu leisten.
Ein anderer Punkt ist die Freiheit.
Jesus bezeichnet uns als Knechte der Sünde. Freiheit erlangen wir, indem wir uns von der Sünde befreien. Natürlich ist damit zunächst einmal gemeint, dass wir nicht sündigen sollen. Gott hat uns von der großen Schuld befreit, aber wirklich frei sind wir nur, wenn wir das auch im Kleinen vollziehen.
Doch selbst wenn ich wie ein Heiliger lebe und keine Sünde tue, werde ich unfrei, sobald ich gebannt auf die Sünden anderer starre, denn dafür muss ich nicht nur meinen Blick von Gott abwenden, was ja schon der erste Fehler wäre. Durch dieses Beobachten werde ich Teil dieser Sünde, denn sie wird mich beschäftigen in meinen Gedanken, wird mich zum Richter machen, wird mich zwingen, ein Urteil zu fällen, wird mich zwingen irdische Gerechtigkeit zu suchen und mich so in meinen weiteren Entscheidungen zumeist negativ beeinflussen. Wenn ich auf die Sünden (anderer) starre, dann bin ich in meinen Entscheidungen nicht mehr frei. Dann bin ich nicht frei!
Vergebung meint also nicht nur, dass ich jenen vergeben soll, die sich mir gegenüber persönlich schuldig gemacht haben. Vergebung meint das Loslassen der Schuld, überall, wo ich sie entdecke, überall, wo sie beginnt, sich an mich zu klammern, überall, wo sie mich an sich kettet.
Meine Entscheidungen gehören mir, das ist der Wille Gottes! Die Schuld anderer darf meine Entscheidungen nicht beeinflussen, sonst bin ich nicht (mehr) frei.
Gott regiert darum nicht mit Drohung und Angst, sondern bietet Erkenntnis (zur Umkehr) jedem, der sie sucht. Gnade und Vergebung ist der Weg des Christen, Erkenntnis und Einsicht der Kompass. Wenn wir Gemeinschaft mit Gott haben möchten, dann ist das unser Heute, an jedem einzelnen Tag.