Markus 14, 55 – 72 (26. Februar)

„Wieder fragte ihn der Hohepriester und sagte zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin’s. Und ihr werdet den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels!“ (Mk 14, 61+62)

Es ist gar nicht so einfach, ein gerechtes Urteil zu fällen, wenn das Urteil schon vor der Verhandlung feststeht. Insbesondere, wenn man in Schauprozessen nicht geübt ist und dies ist der erste und wahrscheinlich einzige Schauprozess unter der Regie des Hohen Rates. Es geht nicht um Schuld oder Unschuld des Nazareners, es geht darum eine Rechtfertigung für das bereits gefällte Todesurteil zu finden. Natürlich finden sich schnell Eiferer, die sich für eine Aussage gegen den „Ketzer“ ein Fleißbildchen im Himmel versprechen, doch mangels Absprachen passen die Aussagen nicht zusammen und Jesus schweigt zu den Vorwürfen – auch eine Bestätigung der über ihn gemachten Prophezeiungen (Jes 53,7).

Nur auf die Frage, ob er der Sohn Gottes sei, antwortet er wahrheitsgemäß „Ich bin‘s“ und kündigt bereits sein Wiederkommen in Herrlichkeit an, also in der Art und Weise, in der es der Hohe Rat eigentlich bereits jetzt von ihm erwartet hätte. Damit liefert er dem Hohepriester auch gleichzeitig das stärkste Argument für Schuldspruch und Todesurteil. Dieser vielleicht charismatische, aber doch armselige und keinesfalls königlich anmutende Wanderprediger, der in seinen ganzen Reden das Israel des Hohen Rates (in den Augen des Hohen Rates das „wahre“ Israel) mehr angegriffen als wiedererrichtet hatte, der konnte einfach nicht der angekündigte Christus sein, das war doch offensichtlich. Und jetzt besitzt er noch die Frechheit, sich als der Sohn Gottes zu bezeichnen – der Gipfel der Gotteslästerung! Die Entrüstung des Hohepriesters war sicher nicht gespielt. Was dem Hohen Rat in dieser Situation nicht bewusst ist: Mit diesem Todesurteil unterschreiben sie vor allem das Todesurteil des alten Priestersystems – sie erfüllen die Prophezeiung.

Derweil hat Petrus ganz andere Probleme. Er wird wiedererkannt und als einer von den Jüngern des Galiläers angesprochen. Und Petrus, der Fels, fällt. In der Stimmung aus Feindseligkeit und Angriff verleugnet er vehement jede Verbindung zum Angeklagten. Und der Hahn kräht. Einmal. Zweimal. Petrus, dieser mutige, tapfere, manchmal auch tollpatschige, aber doch treue Jünger Jesu hat seinen geliebten Herrn verleugnet, genau wie dieser es ihm vor wenigen Stunden prophezeit hat. Versager! Lügner! Nichtsnutz! Mörder! Er zerbricht an diesen inneren Selbstvorwürfen und weint – und ist wieder der Prototyp eines Christen. In der Stunde des Angriffs in Einsamkeit, dann wenn wir mit unserem Glauben gefühlt ganz allein stehen gegen eine feindliche Welt – wie verhalten wir uns in dieser Situation?

Christen haben keinen Grund auf ihren Glauben stolz sein! Alles, was unseren Glauben betrifft, alles was uns in diesem Glauben antreibt, einfach alles, was unser wahres Leben ausmacht wurde uns geschenkt. In uns erfüllt Gott den Segen, den er einst Abraham versprach und den er vor Moses wiederholte. Wir haben Grund zur Dankbarkeit. Und dann gibt es im Leben eines jeden von uns Momente, in denen uns dieses Geschenk fast peinlich ist und wir es verschweigen. Dann sind wir wie dieser Petrus. Und darum haben wir genau wie Petrus bei jenem zweiten Hahnenschrei auch immer genug Grund zu Scham und Reue. Die Fastenzeit vor Ostern holt uns dieses Spannungsfeld zwischen Dankbarkeit und Scham Jahr für Jahr wieder ins Bewusstsein zurück. Die Straße zwischen Dankbarkeit und Scham heißt Demut. 

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