Hiob 26 – 31 (26. – 30. Juni)

Nun setzt Hiob zu seiner letzten Erwiderung auf die Angriffe der Freunde an und wir erkennen, er sieht sich im Zentrum seiner Welt stehend und unterscheidet sich in diesem Punkt nicht von den bisherigen Rednern.

Zunächst erzählt er in epischer Länge, was zuvor Bildad in ein paar dürren Sätzen zum Ausdruck gebracht hatte. Aus seinem Ausruf an seinen Vorredner „Wie hast du doch den Ohnmächtigen unterstützt und dem machtlosen Arm geholfen!“ (Hiob 26, 2) wird deutlich, dass er damit nur ein Ziel verfolgt: Er spottet über die Aussage Bildads – und vermutlich auch über alle vorangegangenen Aussagen – und demonstriert, dass (so sieht er das) seine Weisheit über der seiner Freunde steht.

Aus seiner Frage „Aber den Donner seiner [Gottes] Macht - wer versteht ihn?“ am Ende von Kapitel 23 und den nachfolgenden Aussagen kann man schließen, dass Hiob den Sinn der Handlungen Gottes gegen ihn – und er versteht ja nach wie vor sein gegenwärtiges Schicksal als eine Handlung Gottes gegen ihn – nach wie vor für sinnlos, ja grob ungerecht und gehässig erachtet. Wieder und wieder bezeugt er seine Unschuld vor Gott und den Menschen und fordert gleichzeitig sein bedauernswertes Schicksal für die Gottlosen dieser Welt. Natürlich fordert er dies nicht direkt vom Höchsten, sondern „erklärt“ den unwissenden Dreien, die nur Blödsinn redeten, noch einmal detailliert, wie ein gerechter Gott am Gottlosen handelt, der er ja nicht ist.

Dann erläutert Hiob anhand von Bildern aus Bergbau, Ackerbau und Viehzucht, sowie den Kreisläufen der Natur, dass die ganze Welt Gottes Weisheit nicht erkennen könne, ja selbst der Tod nur gerüchtehalber von ihr gehört. Die Weisheit sei von Gott und vor der Welt verborgen. Und Gott habe dem Menschen verkündet:

Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, und vom Bösen weichen, das ist Einsicht!“ (Hiob 28,28)

Spätere Könige und Propheten Israels werden diese Gegenüberstellung wieder aufgreifen, aber neue Begriffe verwenden, nämlich Erkenntnis und Weisheit, wobei aus der Furcht des Herrn dann Erkenntnis erwächst und aus dem Verstehen der Vorgänge in der Welt, also Lebenserfahrung, die es dem einzelnen ermöglicht, das Schädliche, Unheil Verursachende, in die Irre Führende („das Böse“) zu erkennen und ihm auszuweichen, Weisheit.

Die sich wandelnde Bedeutung des Begriffes „Furcht des Herrn“, mit der inzwischen nicht mehr „Angst vor Strafe und Verdammnis“ gemeint ist, haben wir bereits im 5. Buch Mose betrachtet.

Um bis zu diesem Punkt zu kommen benötigt Hiob 50 Verse. In den nächsten 96 Versen erzählt er dann ausschließlich von sich. Wie großartig sein Leben früher gewesen sei, wie ihn die Menschen geachtet und verehrt hätten ob seiner generösen Taten und gerechter Urteile. Die ersten 25 Verse beschreibt sich Hiob als ein Gemisch aus einem von allen geliebten, gerechtem Richter und einem gnädigem Retter und Wohltäter. Die nächsten 31 Verse sind dann seinem gegenwärtigen bedauernswerten Schicksal gewidmet. Weitere 40 Verse investiert Hiob in das Plädoyer seiner Verteidigung. Er fordert Gott auf, ihm detailliert darzulegen worin konkret seine Schuld bestünde – wobei er natürlich voraussetzt, dass es diese gar nicht gäbe – und dann diese im Einzelnen zu sühnen.

Würde man die Abschlussrede Hiobs bilanzieren, so käme man also grob auf ein Drittel Gott und zwei Drittel Hiob. Ein eigenartiges Mischungsverhältnis für einen Mann, der von sich behauptet einen Bund mit diesem übergroßen, allmächtigen, allgerechten Gott geschlossen zu haben.

Ein noch zu offenbarendes Wort Gottes wird daher zwei Punkte klarzustellen haben:

  • Im Zentrum jedes einzelnen Lebens steht nicht das Individuum, sondern Gott, der dieses Leben gegeben hat.
  • Alles was wir geben können, kam daher zuvor von Gott. Wir geben nur von dem zurück, was wir zuvor von Gott erhalten haben. Darum gibt es keine Möglichkeit, wie wir uns vor ihm rechtfertigen könnten.

Beide Punkte wurden in den vorangegangenen Reden sogar mehrfach erwähnt! Keiner der bisherigen vier Redner war sich der Tragweite dieser Erkenntnis jedoch bewusst. Hiob, der sich – bestärkt durch die Angriffe seiner Freunde – auf dem Irrweg befindet, zu glauben, er müsse sich vor Gott rechtfertigen, damit dieser die angenommene ungerechte Strafe von ihm nehme, ist dabei noch am ehesten zu entschuldigen.

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