Hat Gott Emotionen?

Blöde Frage eigentlich. Ein liebender, also ein zur Liebe fähiger Gott hat mindestens diese eine Emotion und aus Beschreibungen vor allem des Alten Testamentes wissen wir, Gott kann verzweifelt, enttäuscht, wütend, ja sogar rasend sein. Das Spektrum der Emotionen reicht von rasender Liebe („Ich bin ein eifernder Gott!“, qanna (hebr)=eifernd/eifersüchtig – Ex 20,5) bis hin zu rasender Wut („So lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und ich sie vertilge.“ – Ex 32,10). Gott kennt die Extreme! Und er hat uns auch und gerade in diesem Punkt nach seinem Ebenbild geschaffen.

Ich merke das seit frühester Kindheit. Meine Emotionen, zu jener Zeit oft von der Emotion Angst angetrieben oder angegriffen, waren immer extrem, und darum habe ich sie auch zumeist als hemmend und unangenehm empfunden. In den wenigen Momenten, in denen die Begeisterung über die Angst siegte, war ich allerdings auch nicht mehr zu bremsen … was dann oft wiederum zu Problemen führte.

Ich habe mir darum früh angewöhnt, meine Emotionen tief in mir drin wegzuschließen. Wenn Freunde und Kollegen später im Berufsleben bewundernd feststellten, wie sachlich und cool ich mich einer Diskussion gestellt hatte, wussten sie nicht welche Stürme in dieser Zeit in mir tobten.

Man lernt mit so vielem umzugehen … oder, wenn nicht, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich ging meinen Emotionen wann immer möglich aus dem Weg.

Dann trat Gott in mein Leben.

Er nutzte diese Gabe der tiefen Emotionalität (offensichtlich hatte er einen Plan, als er mir diese Fähigkeit gab), brach die Mauer, die ich um mich errichtet hatte, ein und überschüttete mich mit seiner Liebe. Eine Emotion so heftig, dass ich in einem Weinkrampf fast zusammenbrach. So überwältigend, so groß, fast nicht zu tragen. Neben meine chronische Angst als Triebfeder gesellte nun die Liebe, denn wer Liebe empfängt (an sich heran lässt), wird auch Liebe geben.

Die nächste Emotion war dann nicht mehr so schön: Schuld, Scham. Ich fand mich bei irgendeinem Anlass emotional völlig unvorbereitet unter dem Kreuz Christi stehend wieder. Ich erkannte mit einem Schlag meine ganze Schuld (vergiss den Kinderkram aus der Erstkommunion mit „Ich habe gelogen“, „Ich war unartig“ usw.), meinen ganzen Verrat und ich wollte nur noch sterben. Wie muss sich Petrus gefühlt haben? Wie muss sich Judas gefühlt haben??? Es war wiederum die Liebe Gottes, die mich festhielt, als ich in dieses tiefe Loch stürzte, denn sie strahlte hell und allesversöhnend über meiner Scham.

So fühlt es sich an, wenn Gott offiziell dein Leben übernimmt!

Es haut dich einfach um.

Inzwischen haut Gott mich nicht mehr um, auch an seine Präsenz kann man sich gewöhnen. Dann wird aus dieser überwältigenden Macht, die in dein Leben bricht, ein Freund, ein Berater, ein Begleiter.

Die über Jahre sorgsam gepflegte Mauer ist aber seit jenen Tagen sehr durchlässig geworden. Die Emotionen sind heftiger als damals, ich kann ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen. Die täglichen Nachrichten sind gerade heutzutage eine Herausforderung, für mich ein Marktplatz der Emotionen und jede einzelne wird mir aufgedrängt: Enttäuschung, Angst, Trauer, Scham, Wut. Manchmal genügt eine einzige Nachricht, die mich so aus der Fassung bringt, dass ich den Rest des Tages, vielleicht sogar mehreren Tagen sämtlichen Nachrichten aus dem Wege gehen muss, weil ich es einfach nicht mehr aushalte. Zum Glück gibt es auch andere Quellen, die mich genauso ungebremst mit Begeisterung, Freude und Liebe erfüllen.

Wie mag es Gott mit uns Menschen gehen?

Er sieht das doch auch alles! Er kann nicht einfach die Nachrichten schwänzen, um sich nicht noch mehr aufregen zu müssen. Und ich denke, es geht ihm dabei wie mir. Er fühlt die Emotionen, die diese Geschehnisse auslösen intensiv und ungefiltert. Sie überwältigen ihn, vermutlich noch stärker, als sie es bei mir tun.

Er erkennt die Engstirnigkeit seiner Kinder, ihre Unfähigkeit – nein, es ist nicht Unfähigkeit, es ist Unwille – über den eigenen Tellerrand zu sehen. Ja, diesen Unwillen erkenne ich bei mir auch nur zu oft.

Wie kann er das aushalten?

Ich schau da wieder auf mich und wie ich das in den inzwischen doch etlichen Jahren, die bereits hinter mir liegen, gehandhabt und empfunden habe.

Egal wie dunkel und hoffnungslos der vor mir liegende Weg erscheint, ich weiß immer: Irgendwo dahinten wird eine Kurve kommen, das ist sicher und hinter der nächsten Ecke könnte Hoffnung sein. Und wenn da dann doch keine Hoffnung ist, eine weitere Ecke kommt garantiert. Und da, wo keine weitere Ecke mehr kommt, da steht Gott und empfängt mich. Mehr Hoffnung geht gar nicht.

Ach Papa, wenn du doch all den Verzweifelten das Wissen um die Ecken auf deren Weg so erkennen und fühlen lassen könntest, wie mich.

Aber wie hält Gott das aus? Er sieht doch, dass es nicht besser wird. Er sieht doch, dass wir uns in unserem Denken und Tun an jenen Zeitgenossen orientieren, die nicht auf ihn schauen und die – aus seinem Blickwinkel heraus – selbst jegliche Orientierung verloren haben.

Gott kennt die Ecken auf unserem Weg. Er kennt die Ecken auf dem Weg seiner ganzen Schöpfung.

Gott weiß, wie es enden wird. Gott weiß, dass er uns stark genug gemacht hat, alles Scheitern zu ertragen, und dass wir aus jedem Scheitern stärker aufstehen, sobald wir uns auf ihn stützen, auch wenn wir davor oft fast zerbrechen. Gott weiß, dass wir dieses fragile Dreieck aus Macht, Freiheit und Verantwortung zu balancieren lernen müssen, denn sonst würden wir niemals frei sein. Lernen müssen wir selber; Lernen ist der Sinn dieses Lebensweges.

Und Gott weiß, wer am Ende des Weges steht und auf uns wartet!

Und dann ist da die Liebe, von der Paulus schreibt: Die Liebe „erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.“ (1. Kor 13,7) Wenn Gott mich liebt, weil er alle seine Kinder liebt, wie könnte ich seine Kinder nicht lieben, wie könnte ich lieben und nicht hoffen?

Auch wenn meine Hoffnung, dass die Menschheit endlich lernt, ein ums andere Mal enttäuscht wird, sie hört nicht auf, denn dahinten kommt ja schon wieder eine Ecke und dahinter, dahinter ist gewiss Hoffnung.

Genauso, wie ich das empfinde, genauso, wie Gott mich das sehen lässt, muss er es wohl auch sehen.

Und seine Liebe ist viel größer als meine.

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