„Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten!“ Wirklich?

Am 9. November 2019 stellte das Bundesverfassungsgericht im Verfahren 1 BvL 7/16 abschließend fest, dass aus dem Zusammenspiel von Artikel 1 Absatz 1 GG (Menschenwürde) und Artikel 20 Absatz 1 GG (Sozialstaatsprinzip) ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums folgt.

Im Einzelnen bedeute dies unter anderem:

  • Das Existenzminimum umfasst nicht nur das physische Überleben, sondern auch die soziokulturelle Teilhabe.
  • Dieses Grundrecht steht jedem Menschen zu, unabhängig von Verhalten oder Lebenssituation.
  • Der Staat darf Leistungen an Bedingungen knüpfen (z.B. Mitwirkungspflichten), aber Sanktionen wie Leistungskürzungen müssen verhältnismäßig sein und dürfen die Menschenwürde nicht verletzen.

Gott bringt das für uns Christen auf einen einfachen Nenner: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst!“ Dieses Gesetz ist noch umfassender als die Menschenrechte, denn das Gebot zur Nächstenliebe ist bedingungslos!

Die sozialen Leistungen unseres Staates decken (mit Mühe!) das Existenzminimum ab. Insbesondere bei der sozialen Teilhabe, klappt das ganz offensichtlich nicht. Wir nehmen in Kauf, dass Hilfeempfänger ihren täglichen Bedarf zum Überleben aus den Läden der „Tafel“ und aus Kleiderkammern der Caritas decken, also anderswo einkaufen müssen, als wir das tun. Schon bei der Sicherung des physischen Überlebens schließen wir sie aus der Gemeinschaft aus oder nehmen zumindest in Kauf, dass sie sich ausgeschlossen fühlen. Ebenso haben nachgewiesenermaßen ärmere Menschen in der Bundesrepublik geringere Chancen auf sozialen Aufstieg und eine geringere Lebenserwartung. Dass sich diese Situation nicht verbessert, sondern verschlimmert, sehen wir an den Entwicklung der „sozialen Schere“. Der Abstand zwischen Arm und Reich wird immer größer!

Natürlich haben Arme mit Hilfe des Sozialstaates heute mehr Geld in der Tasche als noch vor 50 Jahren. Dieser Betrag muss aber in Relation zu den Lebenshaltungs- und Teilhabekosten gesehen werden und die sind im für den Sektor der Existenzsicherung relevanten Gruppen an Waren und Dienstleistungen im selben Zeitraum deutlich stärker gestiegen. Der hilfsbedürftige Mensch kann sich also von diesem „Mehr in der Tasche“ weniger leisten. Was Gewerkschaften über die Entwicklung vieler Reallöhne sagen, gilt ebenso für die soziale Sicherung.

Das macht den Punkt drei, dass der Staat Leistungen an Bedingungen knüpfen darf, zum schwächsten Glied in der Kette, denn keine Maßnahme darf die Würde des Menschen verletzen, d.h., Punkt 1 ist unbedingt einzuhalten.

Wenn Menschen Leistungen vom Staat (also von meinen Steuern) beziehen, die sich selbst versorgen könnten, empfinde ich das als höchst ungerecht! Bei meinen Forderungen, auf diese Ungerechtigkeit zu reagieren, komme ich aber an den Artikel 1 und 20 unseres Grundgesetzes (und jedem einzelnen dazwischen) nicht vorbei. Jede Maßnahme muss sich zuerst daran abarbeiten, dass das alles eingehalten wird. Andernfalls begehe ich mit dieser Maßnahme selbst Unrecht und – das haben wir schon in der Schule gelernt – ich kann kein Unrecht sühnen, indem ich selbst Ungerechtes tue!

Als Christ muss ich mich zusätzlich noch an dem unbedingten Gebot der Nächstenliebe abarbeiten. Diese Liebe sieht die Person, ihre Leistungen, ihren Stand, eben all die Äußerlichkeiten nicht! Sie liebt bedingungslos, denn Gott liebt bedingungslos. Ich kann einen Menschen, der sich meiner Meinung nach falsch verhält, darauf aufmerksam machen, ich kann ihn auffordern, sein Verhalten zu ändern, ich kann aber nicht aufhören, ihn zu lieben. Das heißt, ich kann ihn nicht verhungern lassen, ich kann nicht aufhören, ihn wie einen Mensch zu behandeln und ein Mensch ist immer Teil einer Gruppe. Selbst, wenn er sich vielleicht zurückzieht, darf ich nichts tun, was ihn meinerseits/unsererseits ausschlösse. Das ist zugegebenermaßen sehr schwierig, denn es widerspricht meinem subjektiven Gerechtigkeitsempfinden.

Doch Gott versteht Gerechtigkeit ganz offensichtlich anders, als die Welt das tut.

Und wenn Paulus in einem Brief schreibt: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen!“, dann würde ich ihm, würde er heute noch leben, „ins Gesicht widersprechen“ – wie er es ausgedrückt hat. Gott sieht das nämlich anders!

Aber was ist denn nun, wenn der Staat für die soziale Existenzsicherung mehr Geld ausgeben muss, als er dafür einnimmt? Auch an diesem Faktum kommen wir doch nicht vorbei!

Überraschenderweise hat die Bibel auch hier eine Geschichte parat, die zwar nicht Wort für Wort Anleitung bietet, aber doch Anregung, in welche Richtung hier zu denken sei. Das Beispiel findet sich in der Apostelgeschichte.

Die junge christliche Gemeinde in Jerusalem nagte am Hungertuch! Es hatten sich viel mehr Arme und Mittellose der Gemeinde angeschlossen als Wohlhabende. Die Mittel reichten nicht mehr, um alle zu versorgen. Doch niemand kam auf die Idee, den Armen zu sagen: „Wir können uns das nicht mehr leisten! Dann müsst ihr halt den Gürtel enger schnallen!“ Nein, man gründete eine Gütergemeinschaft.

Alle Wohlhabenden verkauften ihren Besitz und gaben das Geld der Gemeinde, damit die für alle Mitglieder sorgen konnte.

Nun gab es aber das Ehepaar Hananias und Saphira. Die verkauften zwar auch alles, gaben aber nur einen Teil der Gemeinde. Einen „Notgroschen“ hielten sie für sich selbst zurück. Gott bestrafte sie für diesen Betrug hart! (Apostelgeschichte 4 – 5)

Der Sozialstaat ist eine solche Gütergemeinschaft! Er hat dabei aber für die Besitzenden glücklicherweise einen gewaltigen Vorteil: Er erkennt das Recht auf Privatbesitz an. Aber er schreibt auch fest, dass mehr Besitz auch mehr Verantwortung für die Gemeinschaft bedeutet.

Wir regeln das über Steuern und andere Abgaben.

An anderer Stelle habe ich bereits geschrieben, dass der Bundesrepublik durch Steuerbetrug pro Jahr zwischen 120 und 160 Milliarden Euro fehlen (zum Vergleich: Im Moment sucht unser Finanzminister händeringend, wo er für 2027 im Vergleich zum genannten Betrug lächerliche 30 Milliarden Euro herbekommt, denn die fehlen gerade im Bundeshaushalt). Das sind eine Menge „Hananiase und Saphiras“! Im Vergleich dazu. Ungerechtfertigte Sozialleistungen (also das gerechte Einsparungspotential im Sozialbereich) betragen jährlich schätzungsweise zwischen 200 Millionen und 2 Milliarden Euro. Ja, beide Gruppen bestehlen die Gemeinschaft, aber wir sind geneigt, eher auf diejenigen zu schauen, die sich 2 Brötchen aus dem Korb nehmen, obwohl ihnen nur eines zustünde. Ist unser subjektives Gerechtigkeitsempfinden denn wirklich gerecht? Ist unsere Haltung gegenüber unseren Mitmenschen im Sinne der gebotenen Nächstenliebe? Ist unsere Nächstenliebe ohne Ansehen der Person, also so, wie Gott uns ansieht?

Und wir haben jetzt noch gar nicht über „Bemessungshöchstgrenzen“ und ähnliches geredet, die dafür sorgen, dass der Anteil an Verantwortung an der Gemeinschaft im obersten Stockwerk der Einkommen immer kleiner wird.

Deutschland ist eine Demokratie. Jeder hat daher das Recht, die Situation anders zu bewerten, als ich sie hier beschreibe.

Das Reich Gottes ist aber keine Demokratie! Als Christ stehen wir entweder unter dem Willen Gottes und kämpfen täglich in allen unseren Entscheidungen und Taten darum, seinen Willen zu befolgen (eine andere Religion nennt das einen „heiligen Krieg führen“, denn der bezeichnet eigentlich den Kampf mit sich selbst und dem eigenen Glauben) oder wir sind keine Christen. Oder – nicht ganz so brachial ausgedrückt: Für jeden Christen ist die Erfüllung des Willen Gottes eine persönliche Herzensangelegenheit! Der Wille Gottes ist auch mein Wille! 

Von diesem Weg abzuweichen, kann ich mir nicht leisten.

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